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Sanktionen gegen Russland sind kontraproduktiv und für die EU Eigentore:

Siemens-Forscher entwickeln gemeinsam mit russischen Kollegen im Rahmen der strategischen Partnerschaft mit dem Forschungszentrum Skolkovo einen Hochfrequenz-Generator, der auf neuartigen Siliciumkarbid-Transistoren basiert und sehr kompakte, robuste und energieeffiziente Teilchenbeschleuniger ermöglicht. Siemens-Forscher entwickeln gemeinsam mit russischen Kollegen im Rahmen der strategischen Partnerschaft mit dem Forschungszentrum Skolkovo einen Hochfrequenz-Generator, der auf neuartigen Siliciumkarbid-Transistoren basiert und sehr kompakte, robuste und energieeffiziente Teilchenbeschleuniger ermöglicht. © Siemens

„Strafmaßnahmen“ zwingen Russland nicht in die Knie

Die fast kindisch anmutenden ständigen Drohungen mit Sanktionen gegen Russland – insbesondere von der amerikanischen Seite und der EU – verfehlen ihre Wirkungen und entwickeln sich immer mehr zu Eigentoren in erster Linie für die EU. Auch viele deutsche Medien verkennen die Auswirkungen von „Strafmaßnahmen“.

Allein das Wort „Strafmaßnahmen“ zeigt, wie realitätsfremd die EU die Lage einschätzt. Wer „straft“ wen und straft sich die EU nicht selbst? Selbst wenn die Sanktionen erweitert würden, könnten sie Russland keineswegs lahmlegen, denn das Land hat beispielsweise nach Einschätzung von Michail Chodorkowski, einst der reichste Russe und heute in der Schweiz lebend, genug Ressourcen, um Sanktionen zu widerstehen. Wie er in einem Interview mit der Zeitung „Corriere della Sera“ (Italien) sagte, habe das Land enorme Währungsreserven und könne seine Energielieferungen auf dem globalen Energiemarkt umlenken. Moskau kann, so Chodorkowski, neue Kunden für sein Gas und Öl leicht finden. Dabei spielte er offenbar auf die Entwicklung und die Möglichkeiten im energiehungrigen China an.

Für die EU werden Sanktionen, sollte Russland mit Gegenmaßnahmen antworten, zum Rohrkrepierer. Zwar war auch die frühere Sowjetunion selbst im schlimmsten „Kalten Krieg“ immer ein zuverlässiger Lieferant von Gas etwa nach Deutschland, aber zu registrieren ist auch, dass z.B. die Ukraine, die ihre Gasrechnungen gegenüber Russland aus eigener Kraft nicht bezahlen kann, völlig auf die Energieressourcen Russlands angewiesen ist. Dies gilt auch für die Länder des Baltikums mit Estland, Lettland und Litauen sowie für Bulgarien und die Slowakei. Diese Länder bezahlen zwar, sind aber zu 100% vom russischen Gas abhängig. Geopolitisch führen Sanktionen auch zu einer Umorientierung Russlands in die asiatischen Märkte. Man stelle sich einmal vor, Russland würde den Spieß herumdrehen und die baltischen Länder nicht mehr mit Gas beliefern – die EU hätte eine unvorstellbare Herausforderung, auch eine finanzielle, für seine Mitgliedsländer zu bewältigen.

Frankreich hält ausdrücklich – entgegen den amerikanischen Wünschen – an russischen Aufträgen für seine Werftindustrie fest. Die französische Großbank Société Générale setzt ungeachtet der Sanktionsdrohungen auf Russland, wie Vorstandschef Frédéric Oudéa soeben betonte. Und Großbritannien fürchtet um seinen Finanzplatz London als Drehscheibe weltweiter Finanztransaktionen.

Für Deutschland fatale Auswirkungen

Auch für Deutschland hätten Verschärfungen der Sanktionen oder gar ein Wirtschaftskrieg mit Russland fatale Auswirkungen. Die führenden deutschen Unternehmen – z.B. BASF, Eon, Siemens, Volkswagen – appellierten an die Bundesregierung, keine weiteren Sanktionen zu starten. Ganz folgerichtig will die BASF und ihre Tochter Wintershall in Russland auch künftig weiter investieren. Russland sei ein sehr wichtiger Markt, sagte jüngst der BASF-Konzernchef Kurt Bock. Auch sein Kollege Teyssen von Eon kündigte an, weiterhin mit den russischen Partnern zusammenzuarbeiten. Allein 7 Milliarden Euro haben die Düsseldorfer in Russland investiert. Auch Siemens-Chef Kaeser hat aus guten Gründen seine Aufwartung bei Präsident Putin gemacht. Insgesamt hängen allein am russischen Markt 350.000 Arbeitsplätze in Deutschland, teilte der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft mit.

Es sind aber nicht nur die riesigen Weltplayer, die ganz bewusst jetzt ihre enge Zusammenarbeit mit Russland betonten. Fresenius hat aktuell angekündigt, ein Gemeinschaftsunternehmen für Infusionslösungen in Russland zu gründen. Auch große mittelständisch strukturierte Unternehmen wie der Heiz- und Lüftungshersteller Vaillant suchen ihre Wachstumschancen weiterhin in Russland. Dies gilt auch für den Naturarzneihersteller Bionorica, der ein Werk in Woronesch errichtet. Umgekehrt investieren auch russische Unternehmer weiterhin in Deutschland. So übernimmt die Gruppe Nordic Yards jetzt die Volkswerft in Stralsund. Der russische Unternehmer Alexej Mordaschow (Stahl und Elektrotechnik), der zum engeren Beraterkreis von Präsident Putin zählt, ist mit ca. 26% der größte Aktionär beim größten europäischen Touristik-Konzern TUI.

Im bilateralen Verhältnis ist ja nicht nur der Handel zwischen Russland und Deutschland (2013 waren es 76,5 Mrd. Euro) zu sehen. Zusätzlich erwirtschafteten die deutschen Unternehmen in ihren russischen Werken für den russischen Binnenmarkt enorme Umsätze, die im Handelsvolumen mit Deutschland nicht berücksichtigt sind. Beispielsweise erlösen allein die deutschen Dax-Unternehmen in Russland durch ihre russischen Werke derzeit ca. 25 Milliarden Euro.

Russland ist keineswegs nur Energielieferant

In vielen kraftmeierischen Zeitungsmeldungen wurde berichtet, dass die russische Volkswirtschaft in hohem Maße vom deutschen Knowhow abhängig sei. Dabei ist aber abhängig das falsche Wort, denn viele Wettbewerber Deutschlands, insbesondere aus Asien (Südkorea mit seiner leistungsstarken Industrie, Japan ohnehin, aber auch schon China), warten nur darauf, stärker in den russischen Markt zu drängen. Auch hier könnte sich das Gerede von der Abhängigkeit Russlands zum Eigentor für die deutsche Wirtschaft bei der politischen Forcierung der Sanktionen entwickeln, wenn Wettbewerber Deutschlands die Lücke in Russland füllen. Abgesehen davon, ist es aber völlig blauäugig, Russland in Deutschland nur in der Position eines Energielieferanten zu sehen.

Wer, wie russische Firmen, hochkomplizierte Anlagen der nuklearen Energietechnik sowie innovative Systeme für die Luft- und Raumfahrt produziert, kann natürlich auch Alltagsgegenstände wie Kochtöpfe herstellen. Beispielsweise werden längst auch anspruchsvolle Spezialstähle und nahtlose Röhren für Pipelines unter Wasser durch das russische Unternehmen Severstal gefertigt. Ein weiteres interessantes Beispiel: Russland hat soeben mitgeteilt, dass die USA nicht mehr mit Triebwerken vom Typ RD-180 für das amerikanische Atlas-Programm beliefert würden. Diese Triebwerke für die USA liefert das russische Unternehmen NPO Energomash. Wer hätte dies gedacht? Auch ist derzeit nur Russland mit seinen Sojus-Kapseln in der Lage, Material, Ausrüstungen und Besatzungen zur internationalen Raumstation ISS zu transportieren. Dies führte jetzt aktuell zur Situation des soeben durch Russland verkündeten Ausstieges – wohlgemerkt entgegen den Bitten der amerikanischen NASA – aus dem Weltraumprojekt ISS. Man werde den Vertrag nicht verlängern. Der stellvertretende russische Ministerpräsident Rogosin teilte weiter mit, dass „das russische Segment der Raumstation unabhängig vom amerikanischen Teil existieren – aber das amerikanische nicht unabhängig vom russischen“ betrieben werden kann. Dies nur zu weitverbreiteten falschen Ansichten in einigen Medien, denen zufolge Russland auf westliche Technologie angewiesen wäre. Zumindest in der Raumfahrttechnik ist das Gegenteil der Fall.

Weitere russische Hightech-Firmen sind Rosatom (Weltmarktführer Kernkraftwerke), Rostec mit einer breiten Palette von Innovationen, Silovyje maschiny im konventionellen Maschinen- und Anlagenbau für die Stromerzeugung sowie die OMZ (Uralmash-Izhora-Gruppe) als ein Marktführer in der Schwerindustrie mit Anlagen z.B. für die Öl- und Gasindustrie und Ausrüstungen für viele Industriezweige. Riesige Eisbrecher, made in Russia, halten die Nordmeer-Passagen frei. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu unterstreichen, dass in Russland hervorragende Technologien und Fähigkeiten einschließlich der personellen Ressourcen vorhanden sind.

Natürlich befindet sich Russland in einem Prozess der Transformation und Modernisierung seiner gesamten Volkswirtschaft einschließlich der Industrie. Aber genau diese Entwicklung beinhaltet große Chancen für die deutsche Wirtschaft. Sollen diese wegen der Ukraine verspielt werden? Russland kann notfalls durch Aktivierung weiterer Kompetenzen durchaus seinen Transformationsprozess in der Industrie – wie versucht darzustellen – alleine bestreiten. Es würde lediglich etwas länger dauern – den Nachteil hätten in erster Linie aber die deutschen Firmen. Und damit verbunden sind ja sehr viele Arbeitsplätze.

Letzte Änderung am Donnerstag, 27 April 2017 14:01
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag