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Die Kehrtwende der Angela Merkel in der Gaspolitik

Rund fünf Milliarden Euro – zum Beispiel Rohre für die Pipeline – wurden bereits in das Projekt Nord Stream 2 investiert. Rund fünf Milliarden Euro – zum Beispiel Rohre für die Pipeline – wurden bereits in das Projekt Nord Stream 2 investiert. © Gazprom

Heute so, morgen so

Es gibt wankelmütige Entscheidungsträger, die nach dem Motto „heute so, morgen so“ handeln. Recht bekommen bei dieser Spezies immer die Personen, die das Glück haben, zuletzt in einer Sache vortragen zu dürfen. Offenbar ist dies auch bei der Kanzlerin ein Kriterium. Dabei neigt sie nach wie vor (wie seinerzeit beim Kernenergie-Ausstieg oder vor drei Jahren bei der einsetzenden Flüchtlingskrise) zu Alleingängen, ohne Zustimmung durch den Bundestag und ohne Abstimmung mit den Fachministerien.

Auch jetzt hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bei seinem Besuch in Berlin die Gelegenheit genutzt, bei der Kanzlerin seine einseitige Sicht, nämlich die grundsätzliche Ablehnung des energiepolitischen Megaprojekts Nord Stream 2, durchzusetzen. Entgegen ihrer bisherigen Meinung, dass es sich bei Nord Stream 2 um ein wirtschaftlich notwendiges Projekt handele, hat Angela Merkel jetzt dem Ukrainer zugesagt, dass auch politische Faktoren berücksichtigt werden müssten. Das Projekt, so Merkel, sei ohne Klarheit „wie es mit der ukrainischen Transitrolle weitergeht“ nicht möglich. Im Hintergrund wollte sie sich damit auch unausgesprochen dem Druck der amerikanischen Administration und des US-Präsidenten Donald Trump, die Nord Stream 2 mit allen Mitteln verhindern wollen, beugen bzw. anbiedern. Würde die Kehrtwendung von Merkel Bestand haben, wäre entgegen den energiepolitischen Erfordernissen Nord Stream 2 gestorben, denn die Ukraine und insbesondere die USA werden immer „politische Faktoren“ mit dem Ziel der Verhinderung der Pipeline in die Diskussion bringen.

Wo bleibt die Rechtssicherheit?

Im Raum stehen die neuen US-Sanktionen gegen Russland, die auch nichtamerikanische Firmen mit erheblichen Strafen bedrohen, wenn sie aus der Sicht der USA deren Sanktionen unterlaufen. Noch als Bundesaußenminister hat Sigmar Gabriel im Januar 2018 daher zurecht darauf hingewiesen, dass es nicht sein könne, dass die amerikanische Politik Europa ihre Interessen aufzwinge und somit wirtschaftlich unter Druck setze. „Es kann nicht sein, dass Rechtsicherheit für die deutsche Wirtschaft nur dann existiert, wenn sie sich den amerikanischen Wettbewerbsbedingungen unterwirft“, sagte Gabriel auf einer Veranstaltung in Berlin. Es gehe nicht an, dass die USA Sanktionen verhängten, die auch Auswirkungen für europäische bzw. deutsche Firmen hätten. Ein fairer Wettbewerb bedeute nicht, dass wir „uns unterwerfen“. So sehen dies übrigens auch der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, Klaus Ernst und parteiübergreifend auch sein Vorgänger Peter Ramsauer von der CSU.

Auch der frühere Vorstandschef des Weltplayers Linde AG und heutige Vorsitzende des Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, Wolfgang Büchele, kritisiert die aktuelle Entwicklung. Gas aus Russland sei Teil eines diversifizierten europäischen Energiemix und ein Projekt unter wesentlicher Mitwirkung europäischer Unternehmen. Namentlich BASF/Wintershall, Uniper, Shell, die französische ENGIE-Gruppe und die österreichische OMV. Die europäischen Gesellschaften Shell, ENGIE und OMV sind gleichzeitig bedeutende Investoren und Arbeitgeber am Standort Deutschland. „Die beteiligten Firmen haben im Vertrauen auf Rechtssicherheit bereits über 4 Milliarden Euro in das Projekt Nord Stream 2 investiert. Gesetzliche Grundlagen im Nachhinein aus politischen Gründen zu ändern, würde das Vertrauen in die Rechtssicherheit in der EU beschädigen“, sagte Büchele.

Im übrigen sind die jetzt bei der Kanzlerin vorgebrachten Bedenken der Ukraine weitgehend substanzlos. Ohnehin wird das Land mit Gas aus der EU beliefert und der russische Konzern Gazprom ist durchaus bereit, die Ukraine auch weiter als Transitland zu nutzen. Allerdings müsste dafür das mehr wie marode Leitungssystem der Ukraine modernisiert werden, betonte Büchele. Die Bundeskanzlerin ist dringend aufgerufen, sich vor deutsche und europäische Unternehmen – vor allem in Hinblick auf den Druck aus den USA – zu stellen. Sanktionen schaden allen Beteiligten und verfehlen insbesondere auch die Wirkung. Dies hat bereits vor wenigen Monaten das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in einer Studie analysiert. Demnach führten die Sanktionen zu einem Rückgang im Warenaustausch in einer Größenordnung von deutlich über 110 Milliarden US-Dollar.

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag