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Die Macht Amazon und der Strukturwandel im Handel

Amazon will verstärkt auch in den Bereich Versorgung mit Lebensmittel einsteigen. Amazon will verstärkt auch in den Bereich Versorgung mit Lebensmittel einsteigen. © Amazon

Bedarf für Rahmenbedingungen

Amazon ist weltweit eine Macht. Mit einer Marktkapitalisierung von ca. 470 Milliarden US-Dollar (Oktober 2017) befindet sich das Unternehmen in der Spitzengruppe. Allerdings ist der Abstand zum wertvollsten Unternehmen der Welt, Apple, groß. Der amerikanische Technologieriese kommt – ebenfalls Stand Oktober 2017 – auf eine Marktkapitalisierung von 811,5 Milliarden US-Dollar. Auch beim Umsatz, den Amazon in seinem Geschäftsbericht für 2016 mit 137 Milliarden US-Dollar angab, ist der Online-Versender zwar schon riesig, aber unter ferner liefen positioniert. Noch muss man sagen, denn auch die Umsatzentwicklung geht bei Amazon steil nach oben. Gemessen am Umsatz ist der amerikanische Handelskoloss Walmart mit 482,1 Milliarden US-Dollar derzeit das mit Abstand größte Unternehmen der Welt. Amazon ist in der Liste der zehn umsatzgrößten Unternehmen der Welt nicht vertreten.

Davon ungeachtet ist aber der Einfluss von Amazon beim gesellschaftspolitischen Strukturwandel im Einzelhandel – beispielsweise auch in Deutschland – bereits enorm. Auch darf man nicht vergessen, dass Amazon ein relativ junges Unternehmen ist. Die Entwicklung ist bei Amazon weiterhin auf Erfolg programmiert. Macht und Einfluss werden daher beim Online-Versender noch stark zunehmen. Mit einem Forschungsaufwand von 16,1 Mrd. US-Dollar pro Jahr – steigende Tendenz – liegen die Amerikaner auch in diesem Segment an der Spitze. Auch in Deutschland ist Amazon nicht mehr wegzudenken. Aber die grundsätzlichen Herausforderungen des Online-Handels muss man auch sehen. Er hat bereits Auswirkungen bis in die innerstädtischen Strukturen bei drohenden Verödungen der Städte, wenn der konventionelle Einzelhandel immer öfters (insbesondere inhabergeführte Geschäfte) aufgeben muss.

Viele Kritiker und Beobachter stellen bereits die besorgte Frage, ob Amazon alles verkaufen darf und ob nicht durch bestimmte Rahmenbedingungen die Strukturen im klassischen Einzelhandel gesichert werden sollen. Angefangen hat alles mit dem Durchbruch des Internets. Mit Büchern und CDs begann alles. Längst ist der klassische Buchhandel substanziell gefährdet. Selbst große Konzern-Buchhandlungen leiden unter der Übermacht von Amazon. Buchhandlungen hatten und haben immer auch einen Kulturauftrag. Auf der anderen Seite hat der konventionelle Buchhandel die Chancen durch das Internet verschlafen. Wer heute bei Amazon ein Buch bestellt, hat es am nächsten Tag in seiner Wohnung. Der Kunde, der keinen Beratungs- oder Informationsbedarf braucht, spart sich Zeit und Wege zu seinem Buchhändler und muss vor allem über den Umweg Buchhandel nicht auf die Ware warten.

Revolution frisst ihre eigenen Kinder

Längst hat sich Amazon zu einem quasi Vollsortiment-Anbieter entwickelt, der z.B. selbst die großen Discounter in der Unterhaltungselektronik (einschließlich elektrische Haushaltsgeräte und Küchengrossgeräte) immer mehr in die Bredouille bringt. Chancen hat allenfalls interessanterweise wieder der kleine Elektro-Fachhandel mit einer hohen Beratungskompetenz und durch seine Serviceleistungen etwa bei Reparaturen. Vor allem ältere Konsumenten schätzen bei technischen Geräten wieder den qualifizierten Fachhandel, der aber auch nicht ansatzweise an seine frühere Bedeutung anknüpfen kann. Interessant bei der Entwicklung ist, dass gerade große Ketten wie Saturn oder MediaMarkt, die dem konventionellen Elektrofachhandel fast den Garaus machten, heute durch Amazon selbst gefährdet sind. Die Revolution frisst bekanntermaßen ihre eigenen Kinder …

Nun könnte man mit der Meinung „dies ist nun mal Markt und Wettbewerb“ zur Tagesordnung übergehen und die Entwicklung mit einer gewissen Gelassenheit verfolgen. Dies wäre aber kurzsichtig, denn nicht alles, was gemacht werden kann, sollte auch gemacht werden. Ein Graubereich ist z.B. der Versandhandel mit Medikamenten. Dieser führt auch dazu, verstärkt zur Selbstmedikation zu greifen mit zum Teil unangenehmen Folgen für die Gesundheit. Immerhin hat der verantwortungsbewusste Apotheker auch bei rezeptfreien Medikamenten mit seinem Fachwissen die Verbraucher von Medikamenten beraten. Der Online-Handel mit Medikamenten führt zunehmend zur Gefahr für den Fortbestand der klassischen Apotheken. Betroffen sind auch familiengeführte Drogerien, die kaum noch anzutreffen sind.

Dörfliche Strukturen gehen verloren

Bedenklich ist auch der Online-Handel mit Lebensmittel über Konzepte wie Online-Supermarkt Fresh. Dies kann einerseits eine Hilfe für stressgeplagte berufstätige Hausfrauen sein, wenn der Belieferungszeitpunkt durch die Anbieter gut organisiert ist. Davon ist bei Amazon auszugehen. Andererseits wird der Lebensmittel Online-Handel für die Endverbraucher zu einem weiteren Ladensterben insbesondere auf dem Land führen. Dies führt nicht nur zu einem Verlust von ortsansässigen Arbeitsplätzen. Der Trend des enormen Verlustes von Bäckereien- und Metzgerfachgeschäften – verbunden ist damit auch Qualität – führt zu einem Verlust der dörflichen Grundversorgung mit Lebensmitteln. Ist dies gesellschaftspolitisch wünschenswert?

Allerdings haben auch in diesem Bereich die Supermärkte bzw. Discounter nicht immer eine gute Rolle gespielt. Insofern ist deren Kritik an Amazon nicht nachvollziehbar. Gab es noch 1960 in Deutschland 55.000 familiengeführte Bäckereien, so ist diese Zahl inzwischen im Jahr 2017 auf 12.000 Betriebe gesunken. Das Verschwinden von 43.000 Bäckereien, war mit einer Reduzierung von deutlich über 200.000 Arbeitsplätzen verbunden. Ähnlich ist die Entwicklung bei den Metzgereien. Konsumforscher sprechen allein bei den familiengeführten Bäckereien und Metzgereien insgesamt von einem Verlust 500.000 von Arbeitsplätzen seit Beginn der 1950er Jahre. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre haben in Deutschland 6.000 familiengeführte Metzgereien – vorwiegend auf dem Land – aufgegeben. Verbunden mit diesen Entwicklungen ist auch oft ein Qualitätsverlust. Gute Wurst- und Fleischwaren und das tägliche Brot wurden insbesondere in den Städten zu einer austauschbaren Ware, hergestellt in Wurst- und Fleischfabriken sowie in Brotfabriken bzw. Großbäckereien.

Wenn unsere Straßen in den Städten infolge unserer Online-Gesellschaft (und auch Online-Mentalität) nicht immer mehr zu „Ramsch-Mailen“ für Ein-Euro-Läden verkommen sollen, muss über Verbesserungen und Bestandserhalt durch entsprechende Rahmenbedingungen nachgedacht werden. Einfahrverbote in die Städte mögen ideologisch begründbar sein, sind aber das sichere Mittel, um die Städte insgesamt auch in ihrer Versorgungsfunktion unattraktiv zu machen. Die Politik ist gefordert.

 

Letzte Änderung am Mittwoch, 25 Oktober 2017 14:37
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag