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Wenn das nur gut geht

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Paris haben die Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser, Siemens AG (l.), und Henri Poupart-Lafarge, Alstom (r.), die Schaffung eines europäischen Champions für Mobilitätslösungen verkündet. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Paris haben die Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser, Siemens AG (l.), und Henri Poupart-Lafarge, Alstom (r.), die Schaffung eines europäischen Champions für Mobilitätslösungen verkündet. © Siemens

Siemens und Alstom schmieden Bahngiganten – gegen China

Nun also doch. In einem zweiten Anlauf kommt Siemens beim französischen Alstom-Konzern zum Zuge, nachdem die Münchener beim ersten Versuch (da hatte freilich Alstom noch den Energiebereich, der an GE abgegeben wurde) gegenüber GE das Nachsehen hatten. Doch jetzt sind die Karten neu gemischt, Alstom ist nach der Abgabe seiner Energiesparte nur noch ein Schatten von einst. Freilich ist Alstom im Bewusstsein der Franzosen immer noch ein Aushängeschild französischer Hochtechnologie, für die vor allem die Hochgeschwindigkeitszüge TGV und Thalys stehen. Diese haben in Frankreich sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung vom Prestige und Stolz einen hohen Stellenwert.

Doch wirtschaftlich steht der auf die Verkehrstechnik reduzierte Alstom-Konzern nicht gerade glänzend da. Die schienengebundene Mobilität der Franzosen agiert unter einem enormen Wettbewerbsdruck. Der erst 2015 entstandene chinesische staatliche Koloss CRRC drückt mit Macht und aggressiven Preisen inzwischen auch in die osteuropäischen und südamerikanischen Märkte für Eisenbahnen. Bei den Hochgeschwindigkeitszügen gelang der ehrgeizige und von der chinesischen Führung unterstützte Aufholprozess freilich auch nur so schnell mit dem abgekupfertem Siemens-Bahntechnik-Knowhow. Aber daran ist Siemens selbst schuld, weil blauäugig wegen kurzfristiger Verkaufserfolge in China leichtsinnig „Blaupausen“ überlassen wurden. Bis 2007 konnten die Chinesen noch nicht einmal ansatzweise Hochgeschwindigkeitszüge herstellen. Man muss sich dies einmal vorstellen.

Wie auch immer – jetzt haben Siemens und Alstom in Paris eine Absichtserklärung für das Schaffen eines gemeinsamen schlagkräftigen Anbieters für die gesamte Bahntechnik angekündigt. Siemens bringt, wenn alle Absichten realisiert werden, seine gesamte Bahntechnik in den neuen Giganten Siemens Alstom ein. Dieser ist freilich im Vergleich zu CRRC (schon vom chinesischen Heimatmarkt her) immer noch klein. Konkret wollen Siemens und Alstom einen gemeinsamen Bahntechnik-Umsatz mit 15,3 Mrd. Euro anstreben; derzeit beschäftigen die „Heiratswilligen“ in der schienengebundenen Mobilität etwas mehr als 60.000 Beschäftigte. Die Synergien (das vornehmere Wort für Kosteneinsparungen) sollen 470 Millionen Euro pro Jahr erreichen. Zwar wird das fusionierte Bahntechnik-Unternehmen Siemens Alstom mit seinem Unternehmenssitz von Paris aus vom seitherigen Alstom-Chef Poupart-Lafarge geführt, doch Siemens wird mit 50,5% am Gemeinschaftsunternehmen die knappe Mehrheit halten. Auch im Verwaltungsrat wird Siemens personell die Mehrheit stellen. Allerdings verbleibt die Börsennotierung des entstehenden Unternehmens unter dem Namen Siemens Alstom in Paris.

Inzwischen gibt es schon erstes Sperrfeuer aus Frankreich. Der ehemalige französische Arbeitsminister Xavier Bertrand zog ein deutliches Resümee: „Macht uns nichts vor – Alstom wird von Siemens geschluckt“. Der neue französische Präsident Macron habe – anders als sein Vorgänger Hollande – nicht richtig für Alstom gekämpft. Im Raum stehen die Ängste um französische Arbeitsplätze. Von einem Zusammenschluss von Gleichen (Siemens-Chef Josef Kaeser) kann in der Tat nicht die Rede sein – da bringt Siemens, unabhängig von der kleinen Mehrheit am neu entstehenden Unternehmen als Gesamtkonzern ganz andere Gewichte auf die Waage.

Frankreich wäre nicht Frankreich …

Dennoch – aufgrund der wirtschaftlichen Lage bei den Franzosen – bekamen Alstom und Siemens für den neuen Bahntechnik-Konzern Siemens Alstom den Segen des französischen Präsidenten Macron und der deutschen Politik. Auf bei der Gewerkschaft IG Metall sieht man das Projekt positiv. Doch Frankreich dürfte in der Industriepolitik nicht Frankreich sein, wenn es nicht doch einen gewissen Einfluss französischer Interessen mit einem Winkelzug durchgesetzt hätte. Vielsagend ist dabei in der gemeinsamen Presseerklärung von Siemens und Alstom der Satz, dass der französische Staat das Projekt unterstützt, unter „der Prämisse von bestimmten Zusagen von Siemens.“ Wie heißen diese „bestimmte Zusagen“ – neben der Stillhalteverpflichtung von Siemens für die Siemens-Anteile von 50,5% für vier Jahre und der ebenfalls erwähnten „Beschäftigungsmechanismen“ ? Bedenklich ist auch eine Aussage von Benjamin Griveaux, enger Vertrauter von Staatspräsident Macron und inzwischen einflussreicher Staatssekretär im französischen Wirtschaftsministerium: Frankreichs werde, so Griveaux, darauf achten, dass das Zusammengehen tatsächlich „eine Hochzeit unter Gleichen“ sei und bleibe. Da könnte sich Siemens bei der Interpretationsfreude der Franzosen noch wundern …

Wenn das nur gut geht – diese Überschrift ist auch insofern berechtigt, als beim Zusammenwirken von Unternehmen aus Frankreich und Deutschland enorme Kulturunterschiede aufeinanderprallen. Es gibt einige negative Beispiele, bei denen Unternehmensmodelle „Zusammenschluss unter Gleichen“ gerade zwischen deutschen und französischen Unternehmen ganz schnell Schall und Rauch waren, wenn nur an die berühmte Fusion der früheren Pharmakonzerne Hoechst AG und Rhone-Poulenc unter dem neuen Namen Aventis, mit Sitz in Straßburg, erinnert werden darf. Aus Aventis wurde dann Sanofi-Aventis und schließlich – Stand heute – Sanofi, ein hervorragender französischer Pharmariese mit Sitz in Paris. Die deutschen Wurzeln der stolzen Hoechst AG interessieren allenfalls noch Wirtschafts-Historiker. Auch bei der als europäische Erfolgsstory gefeierten Gründung der EADS (zunächst Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien) lief in Etappen alles auf Frankreich zu. Gerade wegen den erwähnten Unterschieden in der Firmen- und Betriebskultur, insbesondere zwischen Deutschen und Franzosen, gab es bald heftige Auseinandersetzungen auf der allerobersten Führungsebene. Die Briten (BAE Systems) haben sich relativ schnell von der EADS verabschiedet; heute firmiert der als EADS gebildete Luft- und Raumfahrtkonzern unter dem Namen Airbus Group mit dem operativen Konzernsitz in Toulouse. München war einmal …

Der neu entstehende Bahntechnik-Anbieter Siemens Alstom berührt natürlich auch den traditionsreichen Bahnstandort Deutschland. Die Bahntechnik wurde bis weit in die 1960er Jahre ganz wesentlich durch Unternehmen aus der Schweiz und Deutschland gestaltet: SLM, Henschel, Krauss Maffei, Krupp und als elektrische Ausrüster AEG (längst Vergangenheit), BBC (später ABB) und Siemens. Daraus wurden letztendlich im „Bahnstandort“ Deutschland Alstom, Bombardier und Siemens. Das entstehende Unternehmen Siemens Alstom könnte ganz eindeutig zu Lasten von Bombardier Deutschland – 8.500 Beschäftigte in Deutschland – gehen. Größe allein war aber noch nie ein Kriterium für Erfolg. Viel wichtiger sind Innovationen und Qualität – gerade bei Zuggarnituren. Zugreisen ist ein sensibles Thema. Und da brauchen – einstweilen noch getrennt – sowohl Alstom als auch Siemens den chinesischen Wettbewerber CRRC nicht zu fürchten. Noch! Wenn natürlich die Chinesen wie beim Stahl zum Mittel des Preisdumping greifen, könnte es gefährlich werden und dann auch für den zusammengespannten europäischen Gegenspieler Siemens Alstom.

Auf den Märkten der EU wird sich auch mittelfristig nicht viel ändern. Frankreich setzt weiterhin etwa bei Hochgeschwindigkeitszügen auf die TGV-Familie; die deutsche Bahn hat gerade Siemens einen Jahrhundertauftrag erteilt. Italien ist Alstom-Land, Spanien bevorzugt seine nationalen Hersteller Talgo und CAF. Es liegt auch im Wettbewerbsinteresse vieler Bahngesellschaften, dass auch Bombardier (trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten bei einer Bahntechnik-Fusion Siemens Alstom) auch künftig eine wichtige Rolle spielt. Immerhin ist Bombardier einer der Pioniere bei Hochgeschwindigkeitszügen und Komplettanbieter auch im Schienenverkehr mit U- und S-Bahnen sowie Regionalzügen.

Spannend wird es künftig aber bei Ausschreibungen auf dem amerikanischen Markt werden. Vor einem Jahr kam Alstom bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke Boston-Washington zum Zuge. Welche Garnituren werden aber künftig z.B. in den USA von Siemens Alstom angeboten? Der TGV oder der ICE? Welche Marke hat auf welchen Märkten die Federführung. Da kann es noch viel Zoff innerhalb von Siemens Alstom geben. Es bleibt zu hoffen, dass alles gut geht!

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag