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Siemens: Rekordgewinn, Stellenabbau und Kohleausstieg

Siemens-Jahrespressekonferenz: Brillantfeuerwerk guter Zahlen – einige Tage später kam die Ernüchterung: Stellenabbau. Siemens-Jahrespressekonferenz: Brillantfeuerwerk guter Zahlen – einige Tage später kam die Ernüchterung: Stellenabbau. © Siemens

"Stark wie noch nie"

Siemens ist schon traditionell ein reiches Unternehmen – sogar ein sehr reiches! Früher bezeichnete man den Koloss als eine „Bank“ mit angeschlossener Elektroabteilung. Der Riesentanker wird – gelegentliche Krisen in einzelnen Geschäftsfeldern hin oder her – immer größer. Dies ist schön für die deutsche Wirtschaft und sei Siemens aufrichtig gegönnt. Bei der Jahrespressekonferenz für das abgelaufene Geschäftsjahr 2016/17 (1.10 bis 30.9.) berichtete am 9.11.2017 der Siemens Chef und eigentlich bodenständige Bayerwaldler Josef (Joe) Kaeser über ein Brillantfeuerwerk neuer guter Siemens-Rekordzahlen. Der Umsatz des größten deutschen Technologiekonzerns stieg auf 83 Milliarden Euro und der Vorsteuergewinn auf 9,5 Milliarden Euro. Selbst nach Steuern beträgt der Gewinn 6,2 Milliarden Euro. Siemens, so Kaeser vor der Presse, sei „stark wie noch nie“.

Auch sonst sei Siemens Weltklasse. Für die Herausforderung des digitalen Zeitalters ist man bestens gerüstet. Allein im Geschäftsjahr 2016/2017 gab Siemens 5,2 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus; 3 Milliarden davon seien nach Deutschland geflossen. Auch in Fertigungs- und Sachanlagen habe man im abgelaufenen Geschäftsjahr kräftig auch in Deutschland investiert. Siemens beschäftigt weltweit 372.000 Mitarbeiter(innen). Davon in Deutschland 115.000. Im Vergleich mit dem amerikanischen Erzrivalen General Electric (GE), lange Orientierung für die Münchener, ist Siemens den Amerikanern regelrecht davongelaufen und wurde zum neuen Maßstab der Dinge. Soweit, so gut der erfreuliche Teil.

Ernüchterung

Nur wenige Tage nach dem Siemens-Brillantfeuerwerk kam jedoch die Ernüchterung! Der Konzern müsse ca. 7.000 Stellen streichen, die auch mit Standortschließungen – insbesondere auch in Mitteldeutschland – verbunden seien. Als Grund wurde die in der Tat vom Marktumfeld her katastrophale Auftragslage bei konventionellen Großkraftwerken angegeben. Dies gilt ausdrücklich – neben den Dampfturbinen und Generatoren für Kohlekraftwerke – auch für den Sektor der riesigen Gasturbinen (Stückgewichte von jeweils über 300 Tonnen)! Bei einer weltweiten Kapazität für Großturbinen von 400 Maschinen seien – so Kaeser – zuletzt nur noch 120 Einheiten bestellt worden. Siemens hätte in der letzten Zeit in Deutschland nur noch zwei Aufträge für Kraftwerke bzw. Gasturbinen – in Berlin übrigens – erhalten. Der Großauftrag in Ägypten ist abgearbeitet. Das Marktumfeld für konventionelle Kraftwerke ist zwar derzeit tatsächlich kritisch und Siemens will strukturell schwache Bereiche wie jetzt Power & Gas nicht quersubventionieren. Dies ist einerseits verständlich.

Andererseits hat gerade ein Unternehmen wie Siemens auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Siemens war z.B. „Haus- und Hoflieferant“ Deutschlands (von der wilhelminischen Kaiserzeit bis vor wenige Jahrzehnte) beispielsweise im Telefonwesen, als dieses noch in der Obhut der Post lag. Dies ist aber nur ein Beispiel. Siemens hat viel Grund auch zur Dankbarkeit gegenüber dem deutschen Staat. Auch in der schienengebundenen Mobilität, u.a. mit Hochgeschwindigkeitszügen, zählt die öffentliche Hand zu den wichtigen Großkunden des Hauses Siemens, denn die Bahn ist nichts anderes als ein Staatsbetrieb.

Es war aber jetzt ein unmöglicher kommunikativer Supergau, die „Nackenschläge“ eines großen Stellenabbaus nur wenige Tage nach der Jahrespressekonferenz mit den Rekordergebnissen zu verkünden. So etwas macht man schon vom Stil und der zu erwartenden Stimmung in der Öffentlichkeit nicht im zeitlichen Umfeld der Jahrespressekonferenz. Es musste Siemens klar sein, dass das Echo nach den brillanten Zahlen insgesamt katastrophal sein musste. Da fehlte für den Zeitpunkt der Verkündigung des Abbaus von Stellen ein gewisses Gespür; da wurde Siemens-Chef Kaeser kommunikativ falsch beraten und so entstand der Eindruck eines rüden und eiskalten Manchester-Kapitalismus, einen Eindruck der aber gegenüber Siemens auch nicht ansatzweise berechtigt ist, denn der Konzern schafft auf anderen Feldern auch in Deutschland neue Arbeitsplätze. Dies ging aber in den Medien und in der Politik unter.

Dennoch gebrauchte SPD-Chef Martin Schulz jetzt in einer aktuellen Stunde im Bundestag „starke“ Worte und sprach gar von einem unverantwortlichen Verhalten des Siemens-Managements. Dabei hat aber Schulz vergessen, dass seine Partei im regelrechten Wahn gegen Kohlekraftwerke schon in der Vergangenheit die unselige Energiepolitik, auch in der Großen Koalition, mitgetragen hat. Anstelle die Entwicklung hocheffizienter und umweltfreundlicher Kohlekraftwerke, die alte Blöcke ersetzen und somit Emissionen einsparen würden, zu fördern, wurde über die sogenannte Energiewende, die nichts anderes als eine riesige Subventionsmaschinerie darstellt (da hat übrigens die FDP vollkommen recht), die regenerative Erzeugung zu Lasten auch der privaten Stromkunden einseitig bevorzugt. Obwohl die Fachwelt weiß, dass man auch künftig zur Absicherung der Stromproduktion als Motor für die Wirtschaft und für uns alle weiterhin konventionelle Kraftwerke benötigt. Wind und Sonne wehen und scheinen halt nicht immer und nach wie vor steht die großtechnische „Lagerfähigkeit“ von Strom über Speicher nicht zur Verfügung oder nur partiell, zumal ja auch Pumpspeicherkraftwerke bekämpft werden. Ohne Kohlekraftwerke hätten wir alle in der Monatsmitte Januar 2017 entweder gefroren (Heizkraftwerke) oder keinen Strom gehabt (siehe Seite 7 und 8 – „Der WirtschaftsReport“-März 2017, Thema Energiewende).

Scheinheiliges Geschrei

Jetzt ist das Geschrei um Siemens beim Stellenabbau des Geschäftsbereiches Power (schlüsselfertige Kraftwerke mit Turbinen und Generatoren) groß. Aber auch die Belegschaft der modernsten deutschen Turbinenfabrik am traditionsreichen Standort Mannheim-Käfertal wurde in den letzten Jahren systematisch unter dem Eigner Alstom (vorher BBC bzw. ABB, heute GE) abgebaut. Die in Europa einst führende deutsche Energiewirtschaft mit Eon, RWE, EnBW, Vattenfall (heute LEAG in Mitteldeutschland bzw. in der Lausitz) wurde durch die Politik über Rahmenbedingungen im Bereich der konventionellen Stromerzeugung gegängelt und hat in den letzten Jahren Zehntausende Arbeitsplätze abgebaut. Die Politik ließ sich treiben durch Nichtregierungsorganisationen, die völlig einseitig in der konventionellen Stromerzeugung den Feind sahen. Jürgen Großmann, früherer Vorstandsvorsitzender von RWE und selbständiger Stahlunternehmer, brachte es auf den Punkt: „Die Bundesregierung hat Angst vor den Hohepriestern der Energiewende in Politik, Publizistik und Verbänden, die uns weismachen wollen, dass wir in naher Zukunft auf hundert Prozent erneuerbare Energien umstellen können, ohne dem Standort Deutschland gravierend zu schaden.“ Das Gegenteil ist der Fall, wenn Deutschland auch künftig industrie- und strukturpolitisch eine Rolle spielen soll.

Allerdings hat jüngst auch Siemens eine traurige Position eingenommen. In einem Lobby-Papier schmeichelte sich ausgerechnet der frühere bedeutende Kraftwerkebauer Siemens in die Front der Gegner der Kohlekraftwerke ein und forderte just im Umfeld der Sondierungsgespräche für die Jamaikakoalition den Kohleausstieg Deutschlands. Es war eine Steilvorlage für die Grünen sowie die Gegner der Kohlenverstromung aus verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Das Siemens-Lobby-Papier ist neben dem Termin der Bekanntgabe des Stellenabbaus ein weiterer kommunikativer Supergau, fällt doch Siemens damit seinen langjährigen Großkunden für Stein- und Braunkohlekraftwerke in den Rücken. Man muss sich so etwas erst einmal vorstellen. Das Siemens-Verhalten sprach sich schnell in der internationalen Branche der Kraftwerkebetreiber herum und insofern darf sich Siemens nicht wundern, wenn jetzt Aufträge für konventionelle verstärkt Wettbewerber wie Mitsubishi Hitachi Power erhalten. Anstelle ihre technologische Spitzenkompetenz für die Entwicklung etwa neuer Kohle-Hybridkraftwerke – in Japan haben dortige Firmen jetzt eine Pilotanlage realisiert – einzusetzen, hat Siemens als Turbinenbauer seine Kunden aus der Stromversorgungswirtschaft verraten. Fragt sich nur, an wen Siemens künftig Kraftwerke verkaufen will.

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag