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Frankreich hat gewählt

Die französische Nationalversammlung, das Parlament (Bild), könnte sich zum politischen Gegenspieler von Emmanuel Macron entwickeln. Die französische Nationalversammlung, das Parlament (Bild), könnte sich zum politischen Gegenspieler von Emmanuel Macron entwickeln. © Assemblée Nationale

Für Entwarnungen ist es zu früh

Neuer Hausherr im Élysée-Palast wird vermutlich der europafreundliche Emmanuel Macron. Allerdings muss der politische Quereinsteiger, der über keine Hausmacht in den traditionellen Parteien verfügt, in der Stichwahl am 7. Mai 2017 Marine Le Pen schlagen, die mit 21,4% das historisch beste Ergebnis auf Landesebene für den Front National einfuhr. Erstmals seit dem Bestehen der 5. Republik würde mit Macron ein Bewerber Präsident der Republik, der nicht den Konservativen oder Sozialisten angehört. Insofern kann es noch sehr spannend werden, wie er ohne Hausmacht mit der gesetzgebenden Nationalversammlung zurechtkommt, in der auch künftig die traditionellen Parteien ein starkes Gewicht haben werden.

Kann nun in Europa aufgeatmet werden, weil es mit einem Staatspräsidenten Macron, der europafreundlich eingestuft wird, vermutlich keinen Frexit geben wird? Die Staatspräsidenten Frankreichs haben seit der Ausrufung der 5. Republik durch General de Gaulle eine enorme Machtfülle, vergleichbar mit den US-Präsidenten. Eigentlich vereinigen sie die Funktionen Staatsoberhaupt und Regierungschef. In Brüssel und im politischen Berlin herrscht aufgrund des Sieges von Macron Euphorie. Die Dinge können sich aber schnell ändern, wenn auch unter Macron Erfolge im französischen Alltag ausbleiben. Zu unausgegoren sind nämlich seine im Wahlprogramm angekündigten Vorstellungen.

Unverbindliche Aussagen wie „Frankreich soll umgebaut werden“, sind für die praktische Umsetzung zu wenig. So will Macron in den sozialen Problemvierteln für die Jugend mehr Chancengleichheit schaffen. Lehrkräfte an den Schulen sollen dort eine Jahresprämie über 3.000 Euro erhalten. Die Arbeitslosen- und Rentenversicherung will er auf eine neue Grundlage stellen und die Staatsausgaben senken. Beachtliche 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst sollen gestrichen werden. Da wird es den ersten Zündstoff geben. Stellen streichen und andererseits – eines seiner Ziele – die Arbeitslosenquote verringern: wie soll das gehen? Die Antwort darüber, wo und wie die 120.000 Menschen eine neue Arbeitsstelle finden, gab Macron nicht.

Für Aufregung könnte die von ihm geplante Verkleinerung der Nationalversammlung sorgen. Schwer vorstellbar, dass ihm die Nationalversammlung folgt. Auch beim angekündigten Verkauf von Staatsanteilen an französischen Unternehmen ist Streit und Kritik durch Linke und Gewerkschaften programmiert. Mit dem Verkauf sollen 10 Milliarden Euro erlöst werden, die der vermutlich künftige Präsident in einen „Fond für Industrie und Innovationen“ stecken möchte. Schließlich sprach sich Macron für eine bessere und harmonisierte europäische Verteidigungspolitik aus.

Doch dahinter könnte ein finanzieller Hintergedanke stecken: Sucht er – beispielsweise Deutschland – Mitfinanziers für die ehrgeizige und kostspielige Rolle Frankreichs mit seiner „Force de Frappe“ (Atomstreitkräfte)? Bereits Präsident Sarkozy bot Deutschland eine Teilhabe an, ohne aber die französische Entscheidungshoheit über den Einsatz der Atomstreitkräfte aufzugeben. Frankreich verfügt wie die USA, Großbritannien und Russland über eine schlagkräftige – aber sündhaft teure – atomare U-Boot-Flotte der Triomphant-Klasse mit atomar bestückten Interkontinentalraketen. Hinzu kommt das luftwaffengestützte System mit der nuklearfähigen Dassault-Rafale.

In Frankreich ändern sich Stimmungen schnell

Die angekündigten Vorstellungen von Macron wirken etwas laienhaft – für jeden etwas. Frankreichs populärer Schriftsteller Michel Houellebecq - u.a. „Unterwerfung“ – bezeichnete prompt den künftigen Präsidenten als Mutant (ein Junge, der sich im Stimmbruch befindet). Tatsächlich hätte Macron als Wirtschaftsminister unter seinem Förderer Francois Hollande dessen Scheitern bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die er jetzt senken will, reduzieren können. Loyal sein gehört jedenfalls nicht zu den Stärken des neuen Sonnyboy der Medien, denn nachdem ihn Noch-Präsident Francois Hollande 2012 zu seinem Wirtschaftsberater und 2014 sogar zum Minister für Wirtschaft machte, fiel er im Sommer 2016 seinem Förderer in den Rücken.

In Frankreich ändern sich Stimmungen oft „über Nacht“. Dies hat Präsident Hollande leidvoll erfahren. Dieser menschlich anständige Mann trat im Mai 2012 als Präsident mit viel Vorschusslorbeeren an. Auch er war eigentlich überfordert. Die streikfreudigen Franzosen gingen schnell auf die Straße. Dies alles wird wohl auch auf Macron zukommen, wenn er liebgewordene Leistungen den Franzosen beschneiden will. Außerdem muss er mit einer Nationalversammlung auskommen, in der Konservative und Sozialisten dem neuen Präsidenten das Leben schwer machen werden. Ähnliches erlebt Donald Trump in den USA, obwohl dieser – im Gegensatz zu Macron in der Nationalversammlung – über eine Mehrheit im Kongress verfügt.

Macron wird auch für Deutschland keineswegs einfach werden. Immerhin hat er bereits die deutsche Exportstärke kritisiert, weil Deutschland vom Ungleichgewicht in der Eurozone profitiere und daher einen Ausgleich zahlen müsse. Diese Kritik ist bequem, weil auch Macron die wirklichen Strukturprobleme Frankreichs mit seinen außerordentlich hohen Abgaben, die investitionsfeindlich sind, nicht angehen will. Frankreich schwächelt daher – obwohl es grundsätzlich substanzstarke Unternehmen besitzt – weiter unter der Deindustrialisierung des Landes.

Insgesamt ist aber Frankreich die sechsgrößte Volkswirtschaft mit erfolgreichen Branchen (Luft- und Raumfahrt, Pharma, die Automobilindustrie mit PSA und Renault, Energie und natürlich Luxusgüter). Konzerne wie Air Liquide, Dassault, EADS, L´Oréal, LVMH, Saint-Gobain, Sanofi, Thales, Total – um nur einige Beispiele zu nennen – haben auf den Weltmärkten einen herausragenden Klang. Aber es fehlen – deshalb Deindustrialiserung – größere mittelständische familiengeführte Unternehmen, wie sie Deutschland kennt. Hier müsste ein französischer Präsident durch eine grundlegende Stukturreform für einen Schub bei unternehmerischen Investitionen sorgen.

Auch aus deutscher Sicht wäre dem neuen Präsidenten schnelle politische Erfolge zu wünschen. Doch Wünsche sind so eine Sache. Sie werden wahr oder auch nicht. Neue Köpfe sorgen nicht gleich für Wunder – für eine Jubelstimmung in der EU ist es noch zu früh.

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag