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Großbritannien und der Brexit

Großbritannien und der Brexit Pixabay

Horrorszenarien und Wunschdenken

Die Stunde der Wahrheit naht. Am 23. Juni 2016 stimmt das britische Volk darüber ab, ob das Vereinigte Königreich weiterhin Mitglied der EU sein soll. Obwohl der britische Premier David Cameron in Verhandlungen mit der EU fast alle seine Forderungen durchsetzen konnte, sieht es – glaubt man neuesten Umfragen in UK – für einen Verbleib der Briten in der EU nicht gut aus und dies trotz unglaublicher Horrorszenarien für den Fall eines britischen Austrittes: 52% würden inzwischen, nicht zuletzt aufgrund der Ereignisse um die europäische Flüchtlingspolitik und der Sicherheitslage, den Brexit befürworten.

Ins Lager der Befürworter wechselten inzwischen auch prominente Persönlichkeiten wie z.B. Londons populärer Bürgermeister Boris Johnson und dies vor dem Hintergrund der angeblichen Gefahren für den führenden Finanzplatz London. Auch der langjährige Gouverneur der Bank of England, Mervyn King, sieht die EU in ihrer derzeitigen Zusammensetzung eher reserviert.

Ex-Gouverneur der Bank of England hält Euro für gescheitert

In seinem jüngst erschienenen Buch „The End of Alchemy“ befürchtet King ein immer stärkeres Auseinanderdriften, insbesondere in der Währungsunion der EU. Als ehemaligen Chef der Zentralbank vom Vereinigten Königreich kommt seinen Befürchtungen eine hohe Bedeutung zu. Nach Kings Meinung hat der Euro die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften der Länder massiv verschärft. Indirekt spricht sich der erfahrene ehemalige Zentralbankenchef für einen Brexit aus. King hält das Projekt Euro für gescheitert. Deutschland empfiehlt er gar einen Austritt aus der Eurozone: Der einfachste Weg die Eurozone aufzuspalten – so King – sei ein Austritt Deutschlands.

Auf der anderen Seite befürchten die G20 Staaten im Falle des Brexit ein Stabilitätsrisiko. Insbesondere deutsche Medien berichten über regelrechte Horrorszenarien für Großbritannien. Ein Austritt des Landes könnte schlimmere Auswirkungen als die letzte große Finanzkrise haben. Das Vereinigte Königreich müsse beim Austritt mit Kosten von über 100 Milliarden Pfund bzw. 128 Milliarden Euro rechnen. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wies darauf hin, dass vor allem ein Austritt der britischen Wirtschaft einen großen Schaden zufügen könnte. Allerdings sagte er auch, dass die Eurozone weiterhin wirtschaftlich durch einen EU-Verbleib der Briten profitiere. Gespenster werden für den Finanzplatz London gemalt. Schließlich muss auch die Sicherheit herhalten. Sie könne bei einem Verbleib in der EU durch eine abgestimmte Kontrolle des Terrorismus und der Zuwanderung besser bewerkstelligt werden, sagte Richard Dearlove, Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes.

Zumindest diese These ist aber fragwürdig. Großbritannien gehört schließlich zu den „Five Eyes“ – einem Eliteclub der Geheimdienste aus den USA, UK, Kanada, Australien und Neuseeland (im Grunde die geschlossene angelsächsische Welt, die einen Zutritt selbst Verbündeten wie Frankreich oder Deutschland bisher verwehrt hat). Die „Five Eyes“ dürften weltweit über das beste Infonetz verfügen. Ohnehin haben sowohl die Amerikaner als auch die Briten immer wieder durchblicken lassen, dass sie von den Geheimdiensten der EU eher wenig halten. Wie auch immer: Vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge in Frankreich und Belgien fürchten die Briten durch die laxe Behandlung der Flüchtlingskontrollen eher eine Einschränkung ihrer nationalen Sicherheit.

Beispiele Schweiz und Norwegen

Die Nerven liegen also blank. In Brüssel, in Berlin und selbstverständlich auch in London. Einen Niedergang Großbritanniens infolge des Brexit wird es freilich nicht geben. Die Beispiele der „reichen“ und erfolgreichen Exportländer Schweiz und Norwegen – beide gehören sie bekanntlich nicht der EU an – beweisen das. Die Schweiz und die EU sind enge Wirtschaftspartner. Der gegenseitige Warenaustausch hat ein Volumen von rund einer Milliarde Franken – wohlgemerkt pro Arbeitstag. Die Schweiz ist einer der wichtigsten Handelspartner der EU. Mit zahlreichen Handelsabkommen sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz geregelt. Dies gilt auch für Norwegen. Dies alles könnte modellhaft auch für Großbritannien sein, wenn das Land aus der EU austritt.

Man darf nicht vergessen, dass auch die EU auf Großbritannien angewiesen ist. Immerhin stellt das Vereinigte Königreich einen enormen Anteil der EU-Wirtschaftsleistung dar. Auch globalpolitisch ist Europa auf Großbritannien angewiesen. Militärstrategen weisen auf das militärische nukleare Gewicht Großbritanniens hin. Das Land ist etwa im Gegensatz zu Deutschland ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Ein „Bestrafen“ des Vereinigten Königreichs nach einem Brexit wäre für Europa eher kontraproduktiv. Die größere Gefahr ist vielmehr, dass ein Austritt von UK aus der EU eine gewisse Signalwirkung hat. Es würde dokumentiert, dass die EU für wichtige Länder eben doch nicht attraktiv wäre.

Finanzplatz London wird führend bleiben

Auch die Position Londons als weltweit führendes Finanzzentrum bleibt auch bei einem Austritt Großbritanniens aus der EU unangefochten. So hat die mit Abstand größte europäische Bank, die britische HSBC, vor wenigen Wochen vielleicht demonstrativ entschieden, auch künftig ihren Konzernsitz in London zu behalten. Und dies trotz des drohenden Brexit. London habe als führendes Finanzzentrum viele Vorteile und bleibe die ideale Heimat für ein globales Institut wie die HSBC. London ist die gewachsene Heimat weiterer Weltbanken wie Barclays, Standard Chartered Bank oder Lloyds Banking Group.

Über 2.500 Unternehmen aus der Finanzwirtschaft sind an der Themse aktiv. Zu nennen sind als Beispiele die Finanzdienstleister Prudential, Legal & General, Aviva und die gute alte Lloyd’s of London (nicht zu verwechseln mit der erwähnten Bank mit dem Namen Lloyd). Zahlreiche Spezialinstitute wie Schroders profitieren vom Geflecht des Finanzzentrums London. Dazu gehören qualifiziere Fachleute, die in Jahrzehnten gewachsene Finanz-Infrastruktur und Attraktivität der britischen Weltstadt, das gesamte internationale Flair und Umfeld etwa durch die Finanzwelt der reichen Golfstaaten, die eine hohe Affinität zu London haben, der ideale Weltzeitenfaktor, die politische Stabilität und nicht zuletzt der Imagefaktor. Für globale Investmentbanken ist London unverzichtbar. Alle wichtigen Shareholder und Gesprächspartner kann man beim Mittagessen treffen. Bei nicht wenigen Finanzdienstleistusngen ist der Vorsprung der britischen Hauptstadt geradezu erdrückend. Nein, an London wird man auch künftig nicht vorbeikommen.

Letzte Änderung am Mittwoch, 19 April 2017 14:47
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag