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EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Bedenken und Fragen

Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Bewerbungsrede viel versprochen: Für jede Partei etwas … Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Bewerbungsrede viel versprochen: Für jede Partei etwas … © EC - Audiovisual Service

Der Zittersieg

Mit 383 denkbar knappen „Ja-Stimmen“ – nur neun Stimmen über der notwendigen absoluten Mehrheit von 374 – hat es die Gemauschel-Kandidatin Ursula von der Leyen geschafft. Sie wird am 1. November 2019 Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker, dessen Amtszeit am 31. Oktober endet. Doch ob sie der EU eine neue Akzeptanz in der Bevölkerung verschaffen kann, bleibt abzuwarten. Zu stark sind die erneuten Enttäuschungen nach der EU-Wahl. Doch richtig ist auch, dass man von der Leyen trotz ihrer nicht gerade berauschenden bisherigen Bilanz in der Bundesregierung eine faire Chance in Brüssel geben muss.

Weber verhindert – von der Leyen kam

Doch Brüssel ist ein Bermuda-Dreieck mit wilden Stürmen. Auch jüngst. Es begann schon mit der „Selbstausrufung“ zum neuen Kommissionspräsidenten durch Manfred Weber (CSU und Spitzenkandidat der EVP). Wohlgemerkt vor und nach der im Mai stattgefunden Wahl zum EU-Parlament. Dies ließ auf das früher übliche Tete-à-Tete des Zusicherns von Posten zwischen den Konservativen und Sozialisten im EU-Parlament schließen. Doch Weber hat die Rechnung ohne die Wähler gemacht; es reichte für ein Gemauschel nicht mehr, weil die EVP und die Sozialisten nach der Wahl selbst zusammen keine Mehrheit mehr hatten. Hinzu kam, dass Weber nach wie vor das Image eines hochgedienten Provinzpolitikers aus Niederbayern hat – ohne Erfahrung, ohne Format. Weber hatte schlicht nach den Ergebnissen der EU-Wahl die Realitäten nicht gesehen. Hinzu kam, dass er bereits vor der EU-Wahl einige Regierungen von EU-Mitgliedsländern brüskierte (da zeigte sich seine Unerfahrenheit) und schließlich mochte der Präsident der „Grande Nation“ ihn nicht, und dies war es dann auch für Weber.

Gesucht wurde dann ein „Kompromiss“-Kandidat des geringsten Widerstandes. Und zwar am EU-Parlament vorbei. Heraus kam schließlich die Personalie von der Leyen, die von ihrem Glück oder Unglück noch Stunden vorher nichts wusste – sie stand ja überhaupt nicht zur Wahl! Insofern ist die neue EU-Kommissionspräsidentin von vornherein eine Brüskierung der Wählerinnen und Wähler in Europa. Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.

Bewerbungsrede: für jede Partei etwas …

Ob nun von der Leyen mit der Aufgabe des Amtes wächst, darf bezweifelt werden. In Deutschland ist ihr Ruf als die wohl schlechteste Verteidigungsministerin seit Bestehen der Bundeswehr ohnehin verbrannt. Auch in ihren vorherigen Ämtern hat sie nicht überzeugt. Ob von der Leyen nun ausgerechnet der EU ein so dringend benötigtes neues Profil in Brüssel geben kann, muss sich bald zeigen. In ihrer Bewerbungsrede in Straßburg hat sie – schon wieder fehlerhaft – Erwartungen geweckt, die sie überhaupt nicht entscheiden kann. Sie will zwar die Kommission hälftig mit Frauen besetzen, doch darauf hat sie keinen Einfluss, weil die Auswahl der Kommissare/Kommissarinnen Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten ist. Außerdem hofiert sie bereits wieder einer unseligen Entwicklung, dem Automatismus einer Quote. Es kommt aber auf die Fähigkeiten an und weniger auf die Quote. Im Übrigen beträgt der Anteil der Frauen im neuen EU-Parlament gerade einmal etwas mehr als ein Drittel.

Aufmüpfige Länder bestrafen? – Eine Anleitung zum Zerfall der EU

Ihre Bewerbungsrede war eine Ansammlung von Vorstellungen nach dem Motto „für jeden etwas“ oder alle Parteien sollen ruhiggestellt werden. Die Grünen sollen ihren klimaneutralen Kontinent, ohne Rücksicht auf die Belange der Ökonomie, bekommen. So macht man aber Volkswirtschaften mit unsinnigen Verordnungen kaputt. Einige EU-Länder können da mitmachen, weil sie z.B. keine wettbewerbsfähige und arbeitsplatzintensive Autoindustrie haben. Die Linke bekommt ihren Mindestlohn; doch dies wäre eine Angelegenheit der Tarifpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Unternehmen. Doch wie die EU-Kommissionspräsidentin ein Auseinanderdriften der Gesellschaften in den verschiedenen Staaten verhindern will, dies dürfte ihr Geheimnis bleiben.

Die bisher praktizierte Praxis, nämlich „aufmüpfige“ Länder zu bestrafen, wird mittel- und langfristig zum Verfall der EU führen. In Wirklichkeit ist es bereits jetzt so, dass bei einer Volksabstimmung analog Vereinigtes Königreich in Italien vermutlich eine Mehrheit für einen Austritt aus der EU zustande kommen könnte. Dies wäre dann der Super-Gau der EU, denn Italien hat immer noch eine starke Realwirtschaft mit erstklassigen Unternehmen.

Sollte Präsident Trump auch die nächsten Wahlen in den Vereinigten Staaten gewinnen – und derzeit sieht es danach aus – dürfte der direkte Handel zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich erheblich zunehmen. Bereits jetzt sind die im Vorfeld des Brexit prognostizierten Hiobsbotschaften für das Vereinigte Königreich nicht eingetreten und Frankreichs Präsident Macron würde Jubelschreie ausstoßen, wenn Frankreich an die wesentlich geringere und bessere Arbeitslosenquote von Großbritannien anknüpfen könnte. Sollte das angestrebte Modell USA/Vereinigtes Königreich Erfolg haben, ist es um die EU geschehen. Dann haben Länder wie Italien oder Polen keine Angst, die EU zu verlassen. Dies weiß man auch in Brüssel und hinter vorgehaltener Hand wird dies auch zugegeben.

Letzte Änderung am Freitag, 19 Juli 2019 10:03
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag