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„Wo viele Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab“ (Sprüche 10, 19):

„Wo viele Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab“ (Sprüche 10, 19): MAN

Die „Märkte“ und Europa – von Krisen, Gerüchten und Schwätzereien

Wir erleben derzeit – einmal wieder – ein spektakuläres Wellental der Meinungen zum Thema Eurozone und wie ein Finanzkollaps vermieden werden kann. Vor wenigen Wochen berichteten die Fernsehkanäle so dramatisch, als stünde auch Deutschland vor dem Abgrund. Die Börsen spielten verrückt, Gerüchte verkündeten die unmittelbar bevorstehenden Finanzturbulenzen auch in Frankreich und Italien. Viele besorgte Bürger der Bundesrepublik fragten sich daher, ob und wie lange noch der „Zahlmeister Deutschland“ die Probleme des Schlendrians in Griechenland, Portugal, Spanien (eventuell auch in Frankreich und Italien) über Rettungsschirme und andere Maßnahmen stemmen könne. Befeuert wurden die Ängste durch ein unverantwortliches Gerede von Berufenen und Nichtberufenen und leider auch von hochrangigen Vertretern der Politik, auch aus Brüssel. Hinzu kamen Berichte in den Medien, die das Klima sogar noch düsterer darstellten. Wo aber viele Worte sind, da geht’s (nicht nur) ohne Sünde nicht ab“ – wo viel Geschwätz stattfindet, da ist häufig die Dummheit mit im Spiel.

Über die Verhältnisse gewirtschaftet

Zu verharmlosen ist allerdings beileibe nichts. Immerhin hat jetzt Bundespräsident Christian Wulff vor Nobelpreisträgern in Lindau die Probleme auf einen Nenner gebracht: „Erst haben Banken andere Banken gerettet, dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die Retter?“ Natürlich, keine Frage, ist die Einführung des Euros und die europäische Integration überhaupt ein Erfolgsmodell. Wer wollte noch beispielsweise den Franc oder Gulden, die Lira oder den österreichischen Schilling mit den für die Unternehmen schwer kalkulierbaren Währungsschwankungen in wichtigen Märkten? Wahr ist aber auch: Nur sehr schwierig kann das Gefälle der wirtschaftlichen Leistungskraft in der Eurozone, sichtbar am Beispiel Griechenland, korrigiert werden. Da wurden in einem politischen Wahn – vielleicht gutgemeint – Länder in der Eurozone zusammengespannt, die strukturell einfach nicht zusammenpassen. Gewiss ist es richtig, dass etwa Griechenland zu lange über seine Verhältnisse, schuldenfinanziert, lebte. Im Gegensatz zu leistungsstarken Volkswirtschaften, die sich bedingt Schulden erlauben können, hat Griechenland aber keine wettbewerbsfähige Realwirtschaft und weder Produkte noch Industriefirmen mit einer internationalen starken Strahlkraft. Das Land und seine Bürger überstanden die strukturellen Schwierigkeiten in den letzten Jahrzehnten durch eine einigermaßen florierende Tourismusindustrie und lange auch durch seine Reedereiwirtschaft (Stichworte Onassis und Niarchos). Heute kann sich Griechenland auf absehbare Zeit nicht mehr erholen; die EU hat indirekt ehrgeizige Prestigeprojekte wie die Sommerolympiade in Athen oder den Kauf teurer Hightech-U-Boote mit Brennstoffzellenantrieb finanziert oder kreditiert. Aber dies sind nur Beispiele.

Grundlegend andere deutsche Situation

In Deutschland hingegen war der jüngste Börsenabsturz durch nichts gerechtfertigt. Wir haben eine hervorragende Realwirtschaft mit florierenden Firmen. Die Automobilindustrie kommt beispielsweise mit der Produktion und der Nachfrage nicht mehr nach – trotz Sonderschichten rund um die Uhr. Dies war in der Finanzkrise 2009 völlig anders. Auch die deutsche Chemieindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau und andere Investitionsgüterbranchen aus Deutschland „brummen“. Ungeachtet geringer ferien- sowie sommerbedingter leichter Abwärtstendenzen in der gesamten Industrie, wird Deutschland im laufenden Jahr 2011 nach Einschätzung der Bundesbank beim Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 3% zulegen. Im Juli 2011, inmitten der hysterischen Börsenabstürze, wurden hierzulande erstmals 41 Millionen Erwerbstätige gezählt. Laut Statistischem Bundesamt überwiegen bei den neuen Stellen sogar die Vollzeitarbeitsplätze, die gegenüber dem Vergleichsmonat 2010 um mehr als eine Million zunahmen. Die Wirtschaft ringt verzweifelt um qualifiziertes Personal.

Fragwürdige Ratings

Und genau in diesem eigentlich sehr positiven Umfeld gaben selbst an der Frankfurter Börse die Kurse nach – die „Märkte“ seien nervös. Eigentlich soll ja die Börse auch das Marktgeschehen der Realwirtschaft widerspiegeln. Wer sind die „Märkte“? Wer hat ein Interesse daran, über weit mehr als nur Börsengerüchte, mit den damit verbundenen teilweise dummen Schwätzereien (wie den Vergleich Frankreichs mit den Ereignissen in Griechenland), die Kurse zu beeinflussen? Zehn Stellungnahmen aus der Welt der „Märkte“ ergeben zehn unterschiedliche Meinungen. Weshalb werden an den Finanzmärkten im Verbund mit Ratingagenturen, die in der Vergangenheit oft ihre Inkompetenz unter Beweis stellten, enorme Aktienwerte zumindest temporär „verbrannt“? Was ist von Ratingagenturen zu halten, die in der letzten Finanzkrise „Schrottpapiere“ als erstklassig einstuften? Diese kritischen Fragen bedürfen einer glaubwürdigen Antwort nicht nur durch die Märkte.

Unverständlich ist auch die Verkommung der Sitten innerhalb der Finanzinstitute: Wie weit sind wir schon gekommen, wenn sich, wie ja derzeit zu beobachten, die Banken im sogenannten „Interbankenmarkt“ nicht mehr untereinander trauen und Entscheidungen aufgrund von Börsengerüchten treffen? Hier stimmt einiges nicht mehr an der Finanzkultur der Banken. Werden Finanzkrisen aus Kreisen der Bankenwelt noch zusätzlich befeuert, damit die Europäische Zentralbank Staatsanleihen hochverschuldeter Länder aufkauft? Und – wie kann sich eine „Micky Maus“ (im Vergleich zu den Vereinigten Staaten als immer noch, trotz derzeitiger Schwierigkeiten, mit Abstand größer Volkswirtschaft der Welt) wie Standard & Poor’s erdreisten, wie geschehen, die USA in der Qualität eines Schuldners herabzustufen? Inzwischen sickerte durch, dass der Ratingagentur laut amerikanischer Administration einfache Rechenfehler der Analyse unterliefen? Wieso nimmt die Finanzwirtschaft überhaupt Ratingagenturen (wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt) noch ernst? Dringend notwendig wäre die stärkere Kontrolle der Ratingagenturen durch staatliche Aufsichtsbehörden. Besser wären Ratings durch Institutionen, in denen auch die Notenbanken wichtiger Länder zumindest vertreten sind.

Der volkswirtschaftliche Schaden ist weltweit zu groß, als dass man etwa Staatsbewertungen wie die der USA oder Frankreichs kleinen Gesellschaften wie Standard & Poor’s überlassen kann (Standard & Poor’s erzielt gerade einmal einen Umsatz von 1,7 Milliarden US-Dollar und ist somit wesentlich kleiner als beispielsweise mittelgroße deutsche Versicherungen). Die aufgeworfenen Fragen skizzieren das Marktumfeld der „Märkte“ und leider können die Märkte keine plausiblen Antworten geben. Die Märkte sind ratlos, weil sie die eigenen Gerüchte nicht mehr unter Kontrolle haben. Finanzmärkte, Banken wie Börsen, werden vor allem aus der Sicht der Politik immer unglaubwürdiger, wenn sie sich vom Geschehen der Realwirtschaft entfernen. Bezeichnend die Antwort eines Investmentbankers auf unsere Frage, weshalb sich die Börse vom realen Geschehen abkopple: „Ein Hornochse rennt vor und zehn weitere rennen halt nach – erklären Sie dies einmal einem Hornochsen“…

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag