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Wie sich die SPD selbst zerlegt

Die SPD bräuchte wieder einen klaren Kompass in der Krise. Die SPD bräuchte wieder einen klaren Kompass in der Krise. © Pixabay

Der Niedergang einer großen Partei

Deutschlands älteste Partei, die 1863 gegründete verdienstvolle SPD, krebst laut aktuellen Umfragen (Stand März 2021) auf Bundesebene mit 15 bis 16% am absoluten Tiefpunkt seit Ende des 2. Weltkrieges herum. Man hätte es nicht für möglich gehalten, dass das schon beschämende Ergebnis von 20,5% Stimmenanteil bei der Bundestagswahl 2017 noch weiter nach unten abrutschen könnte. Häme oder Schadenfreude kann darüber kein Demokrat haben, denn die deutsche Sozialdemokratie hat sich um Deutschland (konkret nach dem 2. Weltkrieg in der Bundesrepublik) verdient gemacht. Und hätten andere Parteien in der Endphase der Weimarer Republik den Mut der SPD gehabt (bei der 1933 stattgefundenen Abstimmung zum „Ermächtigungsgesetz“), wäre Deutschland vielleicht die Katastrophe des 2. Weltkrieges erspart worden.

Warum? In wenigen Wochen kann die SPD nämlich auf ein Beispiel für Standvermögen in ihrer langen Geschichte hinweisen, ein Standvermögen das heute leider bei der Sozialdemokratie fehlt. Am 23. März 1933 hat sie als einzige Partei außerhalb der NSDAP im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Die NSDAP konnte in der letzten freien Wahl am 5. März 1933 keineswegs die absolute Mehrheit erreichen. Hätte sich die damalige katholisch-konservative Partei „Zentrum“ dem Beispiel der Sozialdemokratie angeschlossen, wäre eine Zweidrittelmehrheit für das Ermächtigungsgesetz (dieses war nämlich die Voraussetzung der entstandenen Hitler-Diktatur) nicht zustande gekommen. Eventuell hätten die Entwicklungen einen anderen Verlauf genommen. Otto Wels, damaliger SPD-Fraktionsführer im Reichstag, begründete die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes mit den berühmt gewordenen Worten „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“. Heute ist die SPD fleißig damit beschäftigt, sich selbst zu demontieren. Es ist ein Drama.

Große Bundeskanzler und Ministerpräsidenten

Dabei hat die SPD in der Bundesrepublik Deutschland sowohl im Bund als auch in den Ländern (beispielsweise mit Heinz Kühn und Johannes Rau, beide in NRW, oder Kurt Beck in Rheinland-Pfalz) durchaus erfolgreiche Regierungsverantwortung übernommen. Hessen war jahrzehntelang, von 1946 bis 1987, ununterbrochen eine uneinnehmbare Festung der SPD und galt als Musterland. Allein der populäre Georg-August Zinn, der nicht abgewählt wurde, sondern krankheitsbedingt zurücktrat, bildete dort fünf Kabinette in seiner 19jährigen Amtszeit als Ministerpräsident. Auf Bundesebene stellte die SPD bisher drei Bundespräsidenten: Gustav Heinemann, Johannes Rau und aktuell Frank-Walter Steinmeier. Politische Schwergewichte als Bundeskanzler waren Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Willy Brandt wurde weltweit geachtet. Sichtbares Zeichen dafür war seine Auszeichnung zum Friedensnobelpreisträger. Allein wegen Brandts charismatischer Ausstrahlung gingen junge Leute in die Politik und wurden SPD-Mitglied. Prompt wurde 1972 die SPD mit 45,8% erstmals stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Dieses Kunststück gelang Gerhard Schröder 1998 sogar im wiedervereinigten Deutschland mit 40,9 %. Dies war ein deutlicher Vorsprung von fast 6% gegenüber den Unionsparteien. Doch auch diese Glanzpunkte sind Vergangenheit.

Denn insbesondere seit 2005 hat sich die Sozialdemokratie durch Richtungs- und Flügelkämpfe zerrieben. Sie beschäftigte sich immer mehr mit sich selbst und verwässerte ihre Wähler-Basis. Fundamental war die SPD traditionsgemäß die parlamentarische Stütze der Gewerkschaften. Historisch galt sie als klassische Arbeiterpartei. Doch mit dem (damals wahlstrategisch notwendigen) Parteibeschluss des Godesberger-Programms von 1959, das bis 1989 galt, bekannte sich die Partei zur Marktwirtschaft. Sie wollte sich neue Wählerpotentiale erschließen und wurde gewissermaßen „bürgerlich“ für soziale Aufsteiger: gut verdienende Werkmeister und qualifizierte Fachkräfte, schließlich selbständig werdende Handwerker und Freiberufler, Rechtsanwälte, Ärzte. Später, auf dem Höhepunkt der sozial-liberalen Koalition, wurden dann immer öfters Beamte, Lehrer und Intellektuelle neue Sympathisanten oder Wähler der SPD. Die Rechnung ging auch auf, wie die Wahlergebnisse unter Brandt, Schmidt und Schröder bewiesen.

Echte Volkspartei

In einem zeitlichen Umfeld, in dem es „chic“ wurde, sozialliberal (SPD/FDP-Koalitionen) zu sein, wurde die SPD zu einer Volkspartei, in der sich sogar „bürgerliche“ Kreise wohlfühlen konnten. Diese Positionierung führte im Verbund mit der Entspannungspolitik Brandts gegenüber der damaligen Sowjetunion, Polen und DDR zu einem enormen Anstieg in der Wählergunst. Ideologische Phrasen – schon gar nicht Anbiederungen an den Zeitgeist – kannte die SPD nicht. Noch nicht! Im Gegenteil, sie setzte zunächst in der Energiepolitik auf die Kernkraft und aufgrund ihrer damaligen starken Basis im Energieland NRW auf modernste umweltfreundliche Kohlekraftwerke.

Doch Erfolge führen leider auch gerade in Parteien zu Eifersüchteleien und Polarisierungen. Diese waren und sind insbesondere heute in der SPD besonders ausgeprägt. Der Zustand einer Partei zeigt sich immer auch an der Verweildauer ihres Führungspersonals an der Spitze. Zwischen 1946 und 1991 – in 45 Jahren – hatte die SPD nur vier Parteivorsitzende: Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel. Das waren noch Zeiten! Ab 1991 bis heute standen bzw. stehen in 30 Jahren sage und schreibe – angefangen von Björn Engholm bis aktuell mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans – zwölf verschiedene Personen an der Parteispitze. Zwischendurch hatte die Partei sogar zusätzlich fünf vorübergehende kommissarische Parteivorsitzende. Lediglich Sigmar Gabriel konnte die Verweildauer des sich immer schneller drehenden Personalkarussells der SPD-Parteichefs mit einer Amtsdauer zwischen 2009 bis 2017 etwas verbessern.

Dieses Personalkarussell sagt eigentlich schon alles! Neue Ausrichtungen, neue Profile, neue Seilschaften. Inzwischen fragen sich immer öfters prominente Gewerkschafter, ob die SPD überhaupt noch wählbar ist respektive die Interessen ihrer Stammklientel, die Arbeitnehmer, vertritt. Zahlreiche Gewerkschafter sehen in der SPD nicht mehr ihre politische Heimat und sind aus der Partei ausgetreten. Der bundesweit bekannte Uwe Hück (er war langjähriger Porsche-Betriebsratsvorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender) hat die SPD nicht nur verlassen; er hat soeben sogar eine neue Partei gegründet, die „Bürgerbewegung für Wandel und Fortschritt“. Das alte Parteilied – Wann wir schreiten Seit an Seit – ist längst vergangene Parteiromantik. Auch der einflussreiche MAN-Betriebsratschef und VW-Aufsichtsrat Saki Stimoniaris hat bereits im vergangenen Jahr die aktuelle SPD-Spitze Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans heftig kritisiert. Die SPD gefährde, so der waschechte Münchener, mit ihrer autofeindlichen Haltung Arbeitsplätze.

Verbots- und Verzichtpartei?

Insbesondere Saskia Esken, die den „Demokratischen Sozialismus“ (was immer diese Worthülse sein soll) wagen will, wird zur Reizfigur für die Automobilindustrie, die immer noch direkt und indirekt Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sichert. Dies sind nicht nur Jobs in den Werkhallen der Autofabriken und deren Zulieferunternehmen. Dazu gehören auch indirekte Arbeitsplätze: Dienstleister, Ausrüster, Bäcker- und Metzgerbetriebe als Lieferanten der Kantinen, Druckereiunternehmen für Autobroschüren, Busunternehmen aus dem Bayerischen Wald, die beispielsweise bei BMW die Schichtarbeiter zu den Fabriken in Dingolfing oder Regensburg fahren bzw. dort wieder abholen. Ausgerechnet in den Zeiten der Einschränkung des öffentlichen Lebens durch die Corona-Pandemie predigt die SPD-Vorsitzende eine Verzichtkultur (Verzicht auf die individuelle Bewegungsfreiheit mit dem Auto, Verzicht auf Urlaubsflüge, Verzicht auf Fleischkonsum usw.). Die SPD entpuppt sich als weitere Verbots- und Verzichtpartei neben den Grünen! Will die SPD neben der Automobilindustrie auch den Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor der Tourismusbranche einschränken?

Es lebe das Klima – der Mensch könnte sich abschaffen

Die SPD scheint nur noch – insbesondere die Parteichefin Saskia Esken – ein zentrales Thema zu kennen: CO2-Emissionen durch die Mobilität und Landwirtschaft. Die Partei begründet dies mit dem Klima. Klima da, Klima dort, Klima allerorten! Sollen wir unser geliebtes Rind und damit die Milch abschaffen und dem Klima opfern? Wie wäre es, wenn wir uns als Mensch abschaffen? Es lebe das Klima! Als ob es gerade jetzt beim dramatischen Einbruch der Wirtschaft und des Handels durch die Pandemie keine anderen Herausforderungen gäbe. Die SPD ignoriert die Probleme der deutschen Kernkompetenz Automobilindustrie. Auch beim Thema Euro-7-Norm, distanzieren sich interessanterweise die praxiserprobten Gewerkschafter „vor Ort“ immer deutlicher von der SPD. Es wäre aber die Aufgabe der SPD, für industrielle Arbeitsplätze zu kämpfen! Das Verhältnis der SPD zu den Gewerkschaften ist längst nicht mehr durch Solidarität und Harmonie geprägt. Zurecht warnen führende Gewerkschafter die SPD, die Industriearbeiter zu vergessen. Doch leider hat die SPD schon längst ihre Stammklientel und Bodenhaftung vernachlässigt. Manfred Schoch, BMW-Betriebsratsvorsitzender und einer der prominentesten Gewerkschafter, warnt unverkennbar auch an die Adresse der SPD davor, das Thema Klima nur noch eindimensional anzugehen. Die kurzfristige Verteufelung der Verbrennungsmotoren würde zu einer enormen Arbeitslosigkeit führen, sagte er vor wenigen Tagen auf einer Veranstaltung des Autoclubs „Mobil in Deutschland“ in München.

Zukunft – Respekt – Europa

Mit diesen Leitthemen für den kommenden Bundestagswahlkampf 2021 will die SPD retten, was noch zu retten ist. Doch zurecht kritisiert die Konkurrenz, dass Esken & Co auf die derzeit so wichtigen Themen der Gestaltung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach der Coronakrise (Christian Lindner von der FDP) überhaupt nicht eingehen. Zukunft, Respekt, Europa – dies sind Schlagwörter, mit denen man keine neuen Wähler gewinnt. Zukunftsgestaltung und Respekt – dies sind wohl Selbstverständlichkeiten, die von allen Parteien erwartet werden. Und mit Europa ist ohnehin derzeit kein Blumentopf zu gewinnen, wenn man nur an das Impfstoff-Desaster der EU erinnert. Die britische Boulevard-Presse verspottet schon Europa. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis andere Länder dem Beispiel der Briten folgen. Ein Europa – es ist ja die EU gemeint - , das demokratisch gewählte Regierungen (etwa in Polen oder Ungarn) mit Sanktionsdrohungen gängeln will, ist weder attraktiv noch taugt es zum Wahlkampf.

Das ganze Wahlprogramm 2021 der SPD ist eine Verbeugung vor dem klimapolitischen Zeitgeist. 15 Millionen Elektroautos will die SPD bis 2030 auf die Straße bringen und da kann man nur sagen, bitte, bitte, hoffentlich nicht, denn die E-Mobilität ist alles, nur nicht umweltfreundlich (Rohstoffe für die Batterien, deren Entsorgung und der enorme Energieverbrauch). Es gibt bessere Konzepte. Andererseits widerspricht sich die SPD durch ihre Vorsitzende. Flugzeuge sollen mit Wasserstoff betrieben werden. Dies sind alles Fernziele – das kann funktionieren oder auch nicht. Schon Sigmar Gabriel hat es auf den Punkt gebracht. Die SPD darf nicht grüne Theorien übernehmen – das Original ist im Zweifelsfalle immer besser.

Im sozialen Bereich wechseln sich im SPD-Wahlprogramm 2021 gut und schlecht ab. Gut ist die Einführung einer Bürgerversicherung über die gesetzlichen Krankenkassen, denn eine private Krankenversicherung führt oft zur Altersarmut. Gut ist auch die geforderte Kindergrundsicherung. Problematisch dürfte die Einführung der Vermögenssteuer werden, die auf die ideologische „Besteuerung der Reichen“ reflektiert. Damit werden keine Arbeitsplätze entstehen.

Das jetzt präsentierte Wahlkampfprogramm der SPD unterstreicht, was man der Partei vorwirft. Sie hat kein klares Profil mehr (dies gilt allerdings auch für die Unionsparteien) und vor allem ist sie keine Alternative für enttäuschte Unionswähler. Ein Lichtblick ist lediglich der brave „Kanzlerkandidat“ Olaf Scholz. Doch gerade Scholz und die immer weiter links abgedriftete Parteiführung passen nicht zusammen. Realitätsfremd träumt – einmal wieder – die SPD von einem eigenen Kanzler. Doch Träume sind nicht verboten, die  SPD ist ja inzwischen nur noch die drittstärkste politische Kraft. Ein Trauerspiel. Für die Wählerinnen und Wähler in Deutschland ist dies alles eine Katastrophe – wenn nur soll man wählen? Die „Partei der Nichtwähler“ könnte enorm zulegen. Doch dies ist keine Lösung. Wir bräuchten wieder eine gute alte SPD, die sich zum Industriestandort Deutschland bekennt; wir bräuchten auch eine wieder zu ihren Wurzeln zurückkehrende Union. Und eine engagierte FDP vom Zuschnitt eines Wolfgang Kubicki, nicht die eines Wolfgang Lindner – heute so, morgen so…

Die Hoffnung (auch für die sich hoffentlich wieder findende Sozialdemokratie) stirbt zuletzt …

Letzte Änderung am Montag, 08 März 2021 15:33
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag