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Demokratie und Debattenkultur

Zuhören ist scheinbar ein Fremdwort geworden. Zuhören ist scheinbar ein Fremdwort geworden. © Pixabay

Wenn Gewalt Argumente überlagert

Wir erleben in diesen Corona-Zeiten üble Entwicklungen in den öffentlichen Diskussionen und Debatten. Sichtbares Zeichen waren die Berliner Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Diese wurden zwar gerichtlich erlaubt, aber bereits im Vorfeld hat Berlins Innensenator Andreas Geisel nicht gerade zur De-Eskalierung beigetragen. Im Gegenteil, die Demonstranten wurden von vornherein per se katalogisiert und in vermeintlich staatsfeindliche Ecken gedrängt. Großdemonstrationen bringen es leider mit sich, dass sie auch politisch und ideologisch durch radikale Gruppierungen (ob links oder rechts) instrumentalisiert und auch entsprechend missbraucht werden. Dies ist nicht neu und war schon vor Jahrzehnten in den wilden Zeiten der Besetzung der AKW-Bauplätze so. Oder beim Bau der Startbahn West, deren Planung und Realisierung in Frankfurt seinerzeit zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen führte. Neu heute ist, dass sich auch die Medien, die ja kritisch hinterfragen sollen und müssen, teilweise Partei ergreifend instrumentalisieren lassen.

Immer mehr stigmatisieren viele Medien zum Teil mit üblen Schlagzeilen einzelne Branchen. Aber auch Personen werden ohne Urteil kriminalisiert. Die Corona-Pandemie ist ein Beispiel. Wer kritische Fragen stellt (und dies müssten eigentlich die Medien tun), ist neuerdings im Umfeld von Covit-19 ein Coronaleugner, gerade so, als ob nur e i n e Weisheit als richtig zu gelten habe. Man kennt dies auch bei Klimadiskussionen. Selbst international hochrangige Klimatologen, die nicht gewillt sind Pauschalierungen zu übernehmen, werden zum Klimaleugner abgestempelt. Stigmatisiert wurden und werden in Deutschland Branchen wie die Landwirtschaft, die fleisch- und wurstverarbeitende Industrie, die „Stinker“ Dieselfahrzeuge, Kohlekraftwerke ohnehin, die Chemie- und Pharmaindustrie und natürlich auch Personen, die es wagen, den Medien zu widersprechen.

„Wahn, wahn! Überall Wahn (Meistersinger)

In einem Wahn sondergleichen, wird nur e i n e Komponente der Pandemie beleuchtet, nämlich die Anzahl der Infizierten. Doch diese sind keineswegs per Saldo dem Tode geweiht. Im Gegenteil. Es ist in diesem Land eine geradezu abenteuerliche Angstkultur mit dem Coronoavirus entwickelt worden. Inzwischen geben selbst hochrangige Vertreter aus den Reihen der Bundesregierung zu, in gewisser Weise doch übertrieben zu haben, denn die andere Komponente, der soziale Abstieg der Menschen in die Armut, etwa durch Verluste von Arbeitsplätzen, ging völlig unter. Und diese Beschäftigten, durchaus auch aus konservativen Kreisen, demonstrierten in Berlin: Reisebüroinhaber, die vor dem Konkurs stehen, Einzelhändler und Gastronomen, die ihre Betriebe schließen, Kulturschaffende und Künstler, die nicht mehr auftreten dürfen und die zurecht Angst um ihre Zukunft haben, Beschäftigte, deren Arbeitsplätze zuhauf abgebaut werden – siehe Continenental mit 13.000, Schaeffler mit 4.400 oder die MAN mit 9.500 Beschäftigten, um nur drei aktuelle Beispiele zu nennen. Doch pauschal verurteilen viele Medien die Demonstranten und stellen sie in die „böse Ecke“. Es müsste umgekehrt sein; die Medien sollten die Interessen der Corona-Geschädigten kritisch hinterfragen und gegebenenfalls vertreten. Ansonsten ist der soziale Frieden in unserem Lande immer stärker gefährdet. Immer mehr driftet bereits die Bevölkerung Mitteldeutschlands von der „alten“ Bundesrepublik (vor der Wiedervereinigung) ab. Und so ganz nebenbei sparen Arbeitslose eben an Ausgaben für Zeitungen, Zeitschriften und politischen Magazinen.

Die ich rief die Geister …

Natürlich wurde auch die Berliner Corona-Großdemonstration zweckentfremdet und leider gab es nicht zu rechtfertigende Angriffe auf Medienschaffende. Doch die Politik, aber auch die Medien, sollten auf nicht zu billigende Entwicklungen keineswegs mit ebenfalls nicht zu duldenden Reaktionen kontern. Es ist bezeichnend für die Debattenkultur, wenn die Parteivorsitzende der traditionsreichen Sozialdemokratie die Demonstranten pauschal als „Covidioten“ beleidigt. Dies führte zu Hunderten von Strafanzeigen. Doch die Staatsanwaltschaft Berlin stellte die Verfahren ein; die Äußerungen von Saskia Esken seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. So schaukeln sich unliebsame Entwicklungen hoch. Die „taz“ veröffentlichte bereits im Frühsommer einen ekelhaften Kommentar – angeblich im Nachhinein eine „Satire“ – gegen die Polizei (Polizei auf die Mülldeponie) und dem Presserat fiel nichts anderes ein, als diese unsinnige Kolumne eben nicht zu beanstanden. Und dann wundert sich der Presserat, dass die Medien in großen Teilen der Öffentlichkeit unglaubwürdig werden.

Viele Schlagzeilen haben längst mit einem seriösen Journalismus nichts mehr gemein. Betroffen sind Politiker als auch Unternehmer, wie das Beispiel Clemens Tönnies zeigt. Medien machten ihn bzw. sein Unternehmen zum Buhmann der Nation (siehe auch „Presse- und Meinungsfreiheit – ein Graubereich“).

Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft zu den Hintergründen eines möglichen Anschlages auf Clemens Tönnies auf der Zufahrt zu seinem privaten Anwesen. Die Saat scheint leider aufzugehen, frei nach Wolfgang von Goethe „Die ich rief die Geister, werde ich nun nicht los.“

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag