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Das war’s dann wohl – Goodbye UK

Goodbye Vereinigtes Königreich. Goodbye Vereinigtes Königreich. © Pixabay

EU – Und jetzt?

Der Abschied Großbritanniens aus der EU, der am 31. Januar 2020 um Mitternacht erfolgt, hätte nicht sein müssen. Es gab schon vor sieben Jahren, also weit vor dem Briten-Referendum vom 23. Juni 2016, deutliche Hinweise, dass Großbritannien die EU verlassen könnte. Bereits vor seiner berühmten Rede am 10.11.2015 im Thinktank „Chatham House“ in London, forderte der damalige britische Premier David Cameron strukturelle Veränderungen in der EU. Geschehen ist aber in Brüssel nichts oder nicht viel, obwohl Cameron, fast auf den Tag seiner Londoner Rede, bereits drei Jahre vorher die EU-Gremien alarmiert hatte. Aber man hat die Briten offensichtlich in ihrer Entschlossenheit unterschätzt. Am 10.11.2015 hat dann Cameron nach seiner Rede mit einem Brief an den damaligen Ratspräsidenten der EU, Donald Tusk, konkret Fehlentwicklungen und Entscheidungsbedarf der EU aufgezeigt: Die EU müsse reformiert werden; er forderte insbesondere „mehr demokratische Verantwortlichkeit gegenüber den nationalen Parlamenten“. Das Gegenteil ist in Brüssel eingetreten. Die EU wurde in der Kommission immer selbstherrlicher und greift heute fast schon in alle Bereiche, für die eigentlich die nationalen Parlamente zuständig sind, ein. Indirekt – siehe Polen – sogar in die Belange der Justizstruktur der Mitgliedsländer.

Wie kann es sein, dass Brüssel souveräne Mitglieder wie kleine Kinder „bestrafen“ will, wenn diese eine von Brüssel bestimmte Politik der Bevormundung nicht mittragen wollen! Wie kann es weiterhin sein, dass die EU ein stolzes Land wie Polen, immerhin nach dem Austritt Großbritanniens das einwohnerbezogen fünftgrößte EU-Land, ebenfalls mit Sanktionensandrohungen zur Ordnung ruft, nur weil das Land seine eigene Justizreform verabschiedet und auch auf seine Kultur eines katholisch geprägten Landes pocht. Wie kann es sein, dass die EU weit überzogene Emissionswerte verabschiedet, mit denen das in der EU führende Autoherstellerland Deutschland in die Krise, mit der Gefahr des Verlustes zahlreicher Arbeitsplätze, gestürzt wird.

Als Großbritannien am 1.1.1973 der damaligen EWG, der Vorgängerin der EU, beitrat, war nicht die Rede davon, dass – wie nach dem Vertrag von Maastricht (1992) geschehen – die Kommission immer mehr Kompetenzen an sich ziehen sollte. Die Briten haben rechtzeitig davor gewarnt, dass durch eine unkontrollierte Erweiterung der EU diese nur noch schwer zu steuern sei. Die Kluft, auch dies reklamierte Großbritannien schon vor sieben Jahren, zwischen der EU und den Bürgern in den Mitgliedsländern wurde zusätzlich immer größer. Die Regulierungswut Brüsseler Eurokraten nahm teilweise groteske Formen an, die auch in der deutschen Öffentlichkeit kritisiert wurden.

Es kam eins zum anderen

Beim Austrittsreferendum des britischen Volkes vom 23. Juni 2016 war dann die katastrophale Migrationspolitik der EU seit 2015 mit ausschlaggebend. Insbesondere die deutsche Bundeskanzlerin – aber zunächst auch Frankreich – wollten die anderen Mitgliedsländer zu einem nicht durchdachten Verteilungsschlüssel zwingen. Die 2015 sichtbaren dramatischen Bilder der Flüchtlingsströme von Österreich nach Deutschland (nach einseitigen unkontrollierten Grenzöffnungen durch die Bundeskanzlerin) haben ihre Wirkung auf das Abstimmungsverhalten der Briten nicht verfehlt. Und so kam eins zum anderen. Immer stärker verdichtete sich für die Briten der Eindruck, dass innerhalb der EU Frankreich und Deutschland eine bestimmende Sonderrolle spielten. Dies kam in Großbritannien, das während des 2. Weltkrieges dem Kopf des französischen Widerstandes, General de Gaulle, Asyl bot, überhaupt nicht gut an.

Offensichtlich fühlte sich Großbritannien in den letzten Jahren auch in der europäischen Verteidigungspolitik etwa gegenüber Deutschland allein gelassen. Während in Deutschland die Bundeswehr ein armseliges Bild abgab und immer stärker sogar im eigenen Land in die öffentliche Kritik kam, hat Großbritannien seine Position als stärkste Militärmacht in der EU sogar noch ausgebaut, somit seine NATO-Verpflichtungen erfüllt und einen wesentlichen Beitrag für die Sicherheit in den EU-Ländern geleistet. Inzwischen hat Großbritannien neben seinen atomaren Kapazitäten die Royal Navy mit zwei brandneuen riesigen Flugzeugträgern ausgebaut, während in Deutschland die bescheidene Anzahl beispielsweise seiner U-Boote komplett in den Wartungs- und Reparaturhallen „Urlaub“ machte. Siehe hierzu den Beitrag „Aus dem Land der Ideen wurde ein Pannenland“.

Die EU muss jetzt kleinere Brötchen backen

Nach dem Austritt der auch zweitgrößten Wirtschaftsmacht der bisherigen EU (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) wird die EU erheblich kleiner und nimmt in ihrer Bedeutung ab. Dies gilt auch für die Einwohneranzahl. Mit 67 Millionen Einwohner liegt das Vereinigte Königreich zusammen mit Frankreich (fast die gleiche Anzahl) an zweiter Stelle bei der Bevölkerungsanzahl der EU-Länder. Mit Großbritannien verliert die EU zweifelsfrei ein Schwergewicht. Das hat auch Auswirkungen auf den EU-Haushalt. Die Kommission muss daher diesen nach unten anpassen. Bei einem bequemen Verlagern fehlender Finanzmittel des bisherigen Nettozahlers Großbritannien auf die verbleibenden aktiven Zahler, da ist bereits neuer Streit in Sicht.

Brüssel ist jetzt nach dem Austritt der Briten gut beraten, mit dem Vereinigten Königreich ganz schnell ein vernünftiges Handelsabkommen abzuschließen. Vor allem für Deutschland ist das Land einer der wichtigsten Absatzmärkte. Auf dem hohen Ross kann die EU nicht sitzen, denn entgegen den Hiobsbotschaften deutscher Medien, hat sich die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs sogar im abgelaufenen Jahr 2019 im Wachstum besser entwickelt als Deutschland. Auch der für die Briten so wichtige Finanzsektor ist mit seinen Weltbanken global aufgestellt und ohnehin mit eigenen Tochtergesellschaften in der EU vertreten. Dies betrifft insbesondere den Branchenführer HSBC. Aber auch RBS, Barclays, Lloyds oder Standard Chartered, eine Bank die führend in Asien und Afrika vertreten ist, sind etwa im Vergleich mit der Deutschen Bank hervorragend positioniert.

Großbritannien wird vermutlich mit den Vereinigten Staaten, Kanada und anderen Ländern des Commonwealth attraktive Handelsabkommen abschließen und könnte sogar – ganz im Gegensatz zu den verbreiteten Meldungen – für die deutsche Industrie ein bevorzugter Investitionsstandort werden, weil Großbritannien von den verkrusteten Strukturen der EU befreit ist. Somit könnte das Vereinigte Königreich für die deutsche Industrie zu einem attraktiven und wichtigen „Flugzeugträger“ (befreit von Brüsseler Regularien) für Drittmärkte werden. Hinter vorgehaltener Hand werden sogar in der EU derartige Szenarien befürchtet.

Auch die immer wieder zitierte „Schottland-Karte“ (Austritt Schottlands vom Vereinigten Königreich) ist mehr ein internes britisches Pokerspiel der schottischen SNP um mehr Finanztransfers von London. Erstens wird es kein neues Schotten-Referendum geben, weil London nicht nochmals zustimmen wird (was es muss) und zweitens würde ein Referendum ein noch größeres Fiasko im Abstimmungsverhalten bringen, weil das „schottische Gas und Öl“ zur Neige geht und bereits Bohrplattformen vor Schottland abgewrackt werden. Die schottische Bevölkerung, insbesondere die Beschäftigten der Öl- und Gasindustrie vor Aberdeen, wird sich hüten, auf ein undurchschaubares Abenteuer Eigenständigkeit zu setzen, zumal die EU – schon wegen Spanien und Katalonien – den Schotten keine Mitgliedschaft in der EU in Aussicht stellen wird. Schottland ist ohne Finanztransfers der Londoner Zentralregierung nicht überlebensfähig. Aber der schottische Landesteil Großbritanniens hat durch den Austritt des Vereinigten Königreichs hervorragende neue Chancen, wenn die Zentralregierung in London amerikanischen, kanadischen und durchaus auch deutschen Firmen attraktive Investitionsbedingungen für z.B. Ansiedlungen in Schottland bieten wird. Und genau dies befürchtet die EU-Kommission.

EU muss steuerbar sein – de Gaulles Europa der Vaterländer

Dennoch ist es bedauerlich, dass Großbritannien nach 47 Jahren kein Bestandteil der EU mehr ist. Die gute alte EWG war eine großartige Sache, aber es war nie eine Kopie einer europäischen Variante der Vereinigten Staaten von Amerika – quasi mit einer nicht gewählten Zentralregierung namens Kommission – geplant. Die „alte“ EWG passte auch strukturell sehr gut zusammen. Sie umfasste zunächst die Benelux-Länder sowie Frankreich, Deutschland und Italien. 1973 wurden Dänemark und Großbritannien neue Mitglieder. Die acht Länder waren eine starke und überschaubare Wirtschaftsgemeinschaft. Die Vereinigten Staaten von Europa mit einer Zentralregierung hingegen, dies wollte schon der große Franzose de Gaulle nicht, der immer ein Europa der Vaterländer bevorzugte. Eine aktuelle EU, wie heute oft erträumt, kann strukturell aufgrund der verschiedenen Mentalitäten und Sprachen nicht gut funktionieren. Während in dem geographisch riesigen Land der Vereinigten Staaten englisch gesprochen wird, gibt es in der aktuellen EU (jetzt ohne Großbritannien) drei Sprachgruppen, die germanische, slawische und romanische: französisch, deutsch, holländisch, polnisch, italienisch, schwedisch, dänisch, schwedisch, spanisch, tschechisch, ungarisch, portugiesisch usw.. Immer wieder gibt es allein in Belgien Differenzen zwischen Flamen und Wallonen. Dies unterstreich doch: Die Menschen wollen keine überbordende Zentrale, die Kompetenzen an sich reißt.

Auch wurde bei der Erweiterung der EU zu wenig auf die Ausgewogenheit der Mitgliedsländer in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geachtet. Neben einigen sehr leistungsfähigen Volkswirtschaften, gibt es immer noch sehr arme Länder als Mitglieder. Aber auch Griechenland hätte sich viele späteren Probleme erspart, wenn das Land als Regulativ weiterhin seine alte Währung behalten hätte. Natürlich ist es schön, wenn die Wirtschaft innerhalb Europas mit einer Währung – ohne Schwankungen – Handel treiben kann. Aber musste deshalb fast alles mit einer übertriebenen Bürokratie reguliert werden? Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber sollte nach seinem Ausscheiden als Ministerpräsident Bayerns die EU-Bürokratie abbauen. Das Vorhaben ist geräuschlos beerdigt worden.

Freilich ist die EU auch ein Friedensprojekt, an dem z.B. die osteuropäischen Länder aus Sicherheitsgründen so interessiert gewesen sind. Dies war und ist ein gewichtiges Argument, aber musste deshalb die Kommission in Brüssel ein bestimmender Moloch werden? Genau dies ist eingetreten und dies wollten die Briten nicht. Man hat sie unter David Cameron 2016 abblitzen lassen. Das Ergebnis sehen wir heute, eine EU ohne das Vereinigte Königreich. Es hätte nicht sein müssen! Man hat an den Austritt nicht geglaubt, man hat sogar insgeheim bis zu den Neuwahlen, die Boris Johnson mit seinen „Tories“ am 12. Dezember 2019 so überzeugend gewann, gehofft, dass irgendwie und irgendwann das Referendum von 2016 mit einer neuen Abstimmung gekippt werden könnte. Die Abstimmung kam dann in Form der Wahl zum Unterhaus tatsächlich, weil Johnson den Brexit zum bestimmenden Wahlkampfthema machte.

Letzte Änderung am Freitag, 07 Februar 2020 09:14
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag