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Die SPD mal wieder vor der Zerreißprobe

Identität oder Staatsräson? Die SPD muss sich entscheiden. Identität oder Staatsräson? Die SPD muss sich entscheiden. ©Susie Knoll

Die Kehrtwende

Die traditionsreiche deutsche Sozialdemokratie steht wieder einmal vor einer grundsätzlichen Zerreißprobe. Nach dem katastrophalen Wahlergebnis bei der Bundestagswahl vom September 2017, mit nur noch 20,5% Stimmen für die ehemalige große Volkspartei SPD, steht die Partei – wieder einmal – vor einer fundamentalen Zerreißprobe wie 2005, als der ehemalige Parteichef Oscar Lafontaine den Austritt aus der SPD und einen Anschluss an die Linke ankündigte. Nachdem Martin Schulz am Wahlabend vollmundig erklärte, dass die SPD in die Opposition gehe, war von einer parteiinternen Kritik an dieser Entscheidung nichts zu hören. Dies war gut so, denn die Partei zeigte Charakter in der Konsequenz des Wahlergebnisses.

Diese Entscheidung wurde dann mehrmals bekräftigt und ausdrücklich nochmals nach dem Scheitern der „Jamaika“-Sondierungen! Danach erst meldeten sich erste Kritiker aus den eigenen Reihen – dezent noch, aber immerhin – zu Wort. Insbesondere der Seeheimer Kreis mahnte ein Überdenken des „Neins“ zu einer erneuten Großen Koalition an. Nachdem auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, immerhin 2009 Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz mehr oder minder drängte, die Koalitionsfrage zu überdenken, kamen aus allen Mauselöchern rund um die Sozialdemokratie die seltsamsten Ideen wie Tolerierung einer Minderheitenregierung unter Führung der Union (mit oder ohne Absprachen mit der SPD ) bis hin zur Groteske einer Großen Koalition plus der Grünen unter dem Stichwort „Kenia-Koalition“. Diese Schnapsidee – anders kann man es ja nicht nennen – brachten der SPD-Altvordere Wolfgang Thierse und die ehemalige SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, in einem Denkpapier in die Öffentlichkeit. Selbst die Grünen, die ja beteiligt werden sollten, konnten sich für diesen Unsinn nicht begeistern, zumal ja Union und SPD eine klare Mehrheit bei einer erneuten Koalition hätten. In einer Minderheitenregierung hat es keine Tolerierung zu geben – wer eine Minderheitenregierung führt, muss sich ständig Mehrheiten suchen. Und auch dies ist gut, damit ein festgezurrtes Parteiengemauschel aufhört.

Mitgliederbefragung jetzt, nicht nachher

Die neueste Interpretation zur Gesichtswahrung des Martin Schulz ist die Aussage „es gibt keinen Automatismus“ zu einer Großen Koalition oder einer anderen Konstellation wie Duldung oder Tolerierung. Der Hintergrund ist das Aufbegehren der Parteimitglieder, vor allem der Parteijugend. Die Jusos sind strikt gegen eine erneute Groko und befürchten bei dieser Konstellation ein weiteres Abdriften bis hin zur absoluten Bedeutungslosigkeit der Partei, weil sie immer weniger ein Gegenentwurf und eine Alternative zur Union wird. Anders gefragt: Warum soll man noch künftig die SPD wählen, wenn sie nur noch zum Steigbügelhalter der Union wird. Nachdem innerparteilich die Zerreißprobe da ist, sieht SPD-Chef Martin Schulz nur noch die Möglichkeit der Mitgliederbefragung. Doch warum befragt die Partei nicht schon jetzt ihre Basis, ob sie überhaupt eine Groko will. Denn was nützen jetzt wieder möglicherweise erneute lange Sondierungen, wenn die Parteibasis die GroKo nicht will?

Die SPD hätte durchaus gute Chancen, sich in der Opposition neu zu formieren und zu „erholen“, denn auch die Union gibt ein erbärmliches Bild ab und „merkelt“ sich zusammen mit „Drehhofer“ mehr schlecht als recht so durch. Die „Strategen“ im Willy-Brandt-Haus bräuchten sich nur die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 in ihren traditionellen Hochburgen im Ruhrgebiet ansehen, um zu erkennen, wo es krankt. Die SPD erreicht ihre brave Stammklientel (Oma und Opa Maier, Tante Grete, den qualifizierten Facharbeiter, selbständige Handwerker, große Teile der Beamtenschaft) nicht mehr, die in Städten wie Dortmund oder Duisburg aus Frust in Scharen zur AfD überliefen. In Duisburg-Marxloh mit 30%. Mit einem Wort, die SPD muss wieder volksnäher werden. Ein noch stärkeres linkes Abdriften ist damit nicht gemeint. Das Original – die Linke – wird im Zweifelsfalle vom linken Wählerspektrum immer vorgezogen. Die Union hat unter Merkel in der letzten Wahlperiode erstaunlich viele Fehler gemacht – aber die Sozialdemokratie hat sie alle abgesegnet. Das ist das Problem der SPD heute.

 

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag