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Nachdenken und die richtigen Erkenntnisse ziehen:

Nachdenken und die richtigen Erkenntnisse ziehen: © Pixabay

Transatlantisches Freihandelsabkommen TTIP muss wertfreier gesehen werden

Die Kritik der Gegner des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wird heftiger! 100 Nichtregierungs­organisationen (NGO) mobilisieren ihre Anhänger und haben zu einem „Aktionstag“, der am 11. Oktober 2014 in Brüssel stattfinden soll, aufgerufen.

Aber warum, um alles in der Welt, dieser Widerstand gegen eine doch grundsätzlich gute Sache, wie den zoll- und diskriminierungsfreien Handel zwischen den Wirtschaftsblöcken USA und EU? Wandel durch mehr Handel – dies war doch immerhin in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gewollt, um auch politische Spannungen zwischen dem Westen und dem damaligen Ostblock abzubauen. Wissen die Menschen heute eigentlich, was sich hinter dem Kürzel TTIP verbirgt oder lassen sie sich von Globalisierungsgegnern beeinflussen? Der Reihe nach:

Seit einiger Zeit verhandelt die EU mit den USA über ein Modell eines Freihandelsabkommens mit dem Ziel, neben dem Fall der Zollschranken auch gemeinsame Normen und Standards in so wichtigen Bereichen wie Landwirtschaft und Umweltschutz einzuführen und vor allem auch Kriterien und Anforderungen für die Lebensmittelqualität festzulegen. Erstaunlicherweise – so das Allensbacher Institut für Demoskopie – sind die Deutschen zum Thema TTIP noch sehr reserviert. Lediglich 28% halten derzeit das Projekt für eine gute Sache, 31% lehnen TTIP ab und 41% haben noch keine Meinung.

Abwägung von Chancen und Risiken

Dabei betrifft uns TTIP alle – so das Projekt politisch umgesetzt wird – und es gilt wie bei allen großen Projekten eine Abwägung der Chancen, freilich auch der Risiken, vorzunehmen. Zunächst eröffnet mehr Handel zwischen den USA und der EU die große Chance, dass die zwei größten Handelsräume durch ihr starkes Potenzial weltweit Maßstäbe setzen. Wenn dies positiv geschieht, ist dies eine gute Sache. Andererseits kann das geplante Abkommen zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung beitragen. Und genau hier liegt durch eine stärkere Harmonisierung und durch „gemeinsame weltweite Maßstäbe“ (wer legt sie fest?) die große Gefahr, dass das transatlantische Freihandelsabkommen geopolitisch, insbesondere durch die USA, missbraucht und instrumentalisiert wird. Die renommierte in Zürich erscheinende Wochenzeitung „Die Weltwoche“ hat es bereits auf den richtigen Nenner gebracht: Der „Dauerclinch mit dem selbstbewusster auftretenden Russland und China“ würden – so befürchtet das Blatt – die USA vor allem bestärken, u.a. auch atlantische kommerzielle Allianzen zu schließen. Diese könnten gegen Drittstaaten gerichtet sein. Dieser Hintergedanke darf in der Tat keinen Platz haben, TTIP darf kein Instrument etwa für gemeinsame Handelskriege gegen Dritte werden, denn Handelskriege – und dies ist ja das Fatale an den derzeitigen Sanktionen gegen Russland – können sich irgendwie und irgendwann zu einem heißen Krieg entwickeln. Dies kann niemand wollen. Insofern, aber nur insofern, sind die Bedenken NGOs zu hinterfragen.

Ein politischer Missbrauch mit der Möglichkeit, gemeinsam – USA und EU – Druck gegen Drittländer aufzubauen (diese Keule muss übrigens nicht nur gegen Russland oder China angewendet werden – Stichwort Argentinien, das sich fragwürdiger Hedge-Fonds mit Hilfe der amerikanischen Justiz erwehren muss), sollte auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Wenn gewährleistet ist, dass TTIP keine „politische Waffe“ ist, ja dann ist schon viel vom „Schrecken TTIP“ genommen. Die Vorteile des Freihandelsabkommens liegen nämlich auf der Hand. Der gegenseitige Marktzutritt wird erleichtert. Auch deutsche Unternehmen aus vielen Branchen, z.B. aus der forschenden Pharmaindustrie, können leichter den riesigen amerikanischen Markt erschließen. Dies eröffnet zunächst enorme Wachstumspotenziale und somit auch Beschäftigung für deutsche Arbeitsplätze, freilich auch umgekehrt in den USA. Sehen wir es doch einmal positiv. Vielleicht bräuchte die deutsche Automobilindustrie nicht unbedingt in neue Fabriken in den USA zu investieren, nur um einen leichteren und zollfreien Markteintritt in den wichtigen amerikanischen Automarkt zu haben. Viele Fabriken der deutschen Automobilhersteller sind in den USA nur deshalb entstanden, um den dortigen Markt diskriminierungsfreier erschließen zu können. Das Geld für die entsprechenden Investitionen könnte man sich sparen! Zuweilen können nämlich die Vorteile, Kapazitäten in Deutschland besser auszulasten und anschließend die Fahrzeuge per Schiff in die Staaten zu transportieren, besser sein, als ein risikobehaftetes Werk, u.a. mit Qualitätsproblemen, in den USA zu bauen. Es gibt entsprechende Beispiele auch aus anderen Branchen …

Viele Übertreibungen und Ängste

Weshalb also die Aufregung der vielen NGOs? Neben dem zentralen Anliegen des Abbaus von Zöllen und anderen Handelsbarrieren – Stichwort Lockerung der „Buy American“ Pflicht – sind natürlich auch andere Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen, über gemeinsame Normen etwa amerikanischen Agrarprodukten, die den EU-Ansprüchen nicht genügen, den europäischen Markteintritt zu sichern. Europäische Schutzstandards im Gesundheits-, Lebensmittel- oder Verbraucherbereich – nach Meinung der Europäer sind sie ambitionierter als in den USA – müssen daher gewährleistet sein und dürfen nicht verhandelbar sein. Dies ist doch keine Frage. Die Bundesregierung und die EU wollen daher auf dem Verhandlungswege absichern, dass gentechnisch veränderte Organismen wie Genmais nur nach den EU-Kriterien in den europäischen Markt gebracht werden dürfen. Verstärkt „chemisches“ Bier aus den USA, auch so eine Worthülse, braucht also die deutsche Brauwirtschaft nicht zu befürchten. Und es zwingt ja auch niemand den deutschen bzw. europäischen Verbraucher, etwa die inzwischen berühmt-berüchtigten „Chlorhendl“ (in den USA werden geschlachtete Hühnchen mit Chlor gewaschen) im Supermarkt zu kaufen. Diese Dinge kann und sollte der Verbraucher beim Kauf, respektive eben Nichtkauf, selbst regeln.

Auch alle anderen Sorgen oder Ängste, wie der befürchtete Abbau von Finanzmarktregeln oder das Überrollen der kommunalen Daseinsfürsorge in Deutschland durch eine transatlantische Privatisierungswelle, müssen verhandelt und aus Sicht der Europäer durch die EU durchgesetzt werden. Das höhere Gut, die Chancen für die Wirtschaft und somit die Sicherung von Arbeitsplätzen, sollten durch die Kritiker des Freihandelsabkommens TTIP sehr wohl gesehen werden. Es geht nicht vordergründig um das „privilegierte Klagerecht für Konzerne“. Dies sind populistische Schlagworte, die die Menschen hierzulande verunsichern sollen. Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP bietet gewiss Anlass zur Kritik, aber die Vorteile überwiegen und sind enorm. Einzelne Fragen können im Rahmen von Vereinbarungen geklärt werden. TTIP muss insgesamt wertfreier gesehen werden.

Letzte Änderung am Donnerstag, 27 April 2017 11:34
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag