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Macrons Gas-Affront gegen Deutschland

Nord Stream 2 befindet sich beim Verlegen der Rohre im Zeitplan. Nord Stream 2 befindet sich beim Verlegen der Rohre im Zeitplan. © Nord Stream 2 / Axel Schmidt

Nord Stream 2 wird zum politischen Spielball – der Versorgungsauftrag gerät leider zur Nebensache

Es war eine politische Bombe und eine Brüskierung der Angela Merkel sowie eine französische Machtdemonstration gegenüber dem wirtschaftlich stärkeren Deutschland. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wollte mit seiner kurzfristig angesagten Torpedierung der Gasleitung Nord Stream 2 an die Bundesregierung ein Signal setzen: Motto – Angela, Du bestimmst nicht alles allein, bis hierher und nicht weiter! Macron nutzte völlig überraschend die amerikanischen Angriffe gegen die Gaspipeline, um der Kanzlerin, und somit Deutschland, eine Lektion zu erteilen: Kurz vor der Entscheidung des Europäischen Rats über eine neue Gasrichtinie gab Frankreich bekannt, aus der Allianz mit Deutschland bei der neuen Ostsee-Pipeline auszusteigen. Dadurch wäre das Energieprojekt Nord Stream 2 zum Fall gebracht worden. Die Aufregung in Berlin war groß.

Streit und Kompromiss um Nord Stream 2

Der noch vor wenigen Wochen gefeierte Aachener Vertrag, der die Elysée-Vereinbarung von 1963 zusätzlich mit einer engen deutsch-französischen Koordinierung in Brüssel und mit einem Bekenntnis zu einem gemeinsamen deutsch-französischen Wirtschaftsraum – innerhalb der EU wohlgemerkt – ergänzen sollte, erwies sich überraschend schnell in Sachen Nord Stream 2 als Schall und Rauch. In der Nacht zum 8. Februar 2019 (an diesem Tag sollte der Europäische Rat über die Ostseepipeline entscheiden) glühten die Drähte zwischen Berlin und Paris. In letzter Minute einigten sich Deutschland und Frankreich mit einem Kompromiss für die EU-Gasrichtlinie. Demnach wird die Federführung für die Regulierung nicht generell in Brüssel, sondern jeweils bei dem Land liegen, an dessen Grenzen die Leitungen bzw. Pipelines andocken. Dies ist im Falle Nord Stream 2 eindeutig Deutschland. Gleichzeitig wurden strengere Auflagen sowie mehr Einfluss für die EU-Länder festgelegt. Doch wichtig ist, dass durch die jetzt fixierte deutsche Federführung die 1.200 Kilometer lange Leitung Nord Stream 2 weitergebaut werden kann – so sie nicht doch mit einem enormen Druck der USA auf Berlin verhindert wird. Doch dies wäre ein Armutszeugnis für die Kanzlerin, denn die Gestaltung der deutschen Wirtschafts- und Energiepolitik kann nicht in Washington bestimmt werden, wie insbesondere in Berlin vor allem der Koalitionspartner SPD betont.

Nach dem jetzt gefundenen Kompromiss hat die BILD-Zeitung schon darüber spekuliert, welche Zugeständnisse die Kanzlerin dem französischen Präsidenten machte. Eines wurde deutlich: Wenn es wirklich darauf ankommt, ist es mit der Macht der angeblich „mächtigsten Frau“ ganz schnell vorbei. Dies hat jetzt Angela Merkel so bitter erfahren müssen. Frankreich ist bei allem übertriebenen Bewusstsein tatsächlich eine globale Macht und eines der fünf ständigen Mitglieder mit Vetorecht im Weltsicherheitsrat. Die „Grande Nation“ unterhält ein kostspieliges Atomwaffenpotential, während Deutschland letztendlich doch nur eine Mittelmacht mit einem allerdings starken wirtschaftlichen Fundament ist. Sollten jetzt die Briten tatsächlich die EU verlassen, ist Frankreich die einzige Atommacht in der EU. Es ist daher gut möglich, dass Frankreich jetzt Deutschland für die Finanzierung des Ausbaus seiner ehrgeizigen atomaren Bewaffnung zur Kasse bittet. Grund wäre der atomare Schutz auch für Deutschland. Siehe auch unseren Beitrag Unrealistische Planspiele einer „Europa-Armee“ und hier besonders den Abschnitt Force de frappe. Doch bei allem Streit um die Gasrichtlinie der EU haben jetzt sowohl Frankreich als auch Deutschland nach dem Kompromiss demonstrativ betont, dass es keine Krise im deutsch-französischen Verhältnis gäbe. Wer’s glaubt, wird selig!

Was sind die Hintergründe? Wo bleibt der Versorgungsauftrag mit Energie?

Warum aber gibt es grundsätzlich heftige Auseinandersetzungen zum Projekt einer wichtigen energiewirtschaftlichen Absicherung der europäischen Gasversorgung? Leider wurde Nord Stream 2 zum politischen Spielball – der Versorgungsauftag mit Erdgas wurde in den Hintergrund gedrängt. Auf der einen Seite befinden sich das Gas-Transitland Ukraine und das notorisch gegenüber Russland misstrauische Polen. Beide Länder, und die baltischen Staaten, haben Angst vor Russland – die Ukraine fürchtet zusätzlich noch den Verlust der Transiterlöse für russisches Erdgas, das über die Ukraine transportiert wird. Insbesondere aber die USA setzen mit allen Mitteln Deutschland unter Druck. Ein wichtiges Land wie Deutschland mache sich, so die USA, in seiner Energieversorgung von Russland abhängig und finanziere über die russischen Gasrechnungen die militärische Stärkung Moskaus. Die geschäftlichen Interessen der Amerikaner aber (sie wollen natürlich ihr Flüssiggas in Deutschland verkaufen), stellen sie noch nicht einmal in Abrede.

Wie steht es aber um die verlässliche Partnerschaft bei Gaslieferungen durch Russland; wer sind die Lieferländer Deutschlands und wie entwickelt sich der Erdgasverbrauch Deutschlands? Welche Rolle spielt dabei auch der deutsche Ausstieg aus der Kohle und die Mobilität mit dem E-Antrieb? Kann man überhaupt – wie die Amerikaner meinen – Russland angesichts neuer globalpolitischer Entwicklungen in Asien und neuer Kundenbeziehungen im Gasgeschäft mit China über die neue Pipeline „Power of Siberia“ in die Knie zwingen? China könnte bald der mit Abstand größte Kunde für russisches Erdgas sein.

Verlässliche Partnerschaft – Bedenkenträger gab es schon früher

Neu sind die heute zu vernehmenden Argumente der angeblich drohenden Abhängigkeit vom russischen Gas jedenfalls nicht. Bereits 1968 gab es beim Abschluss des ersten Gaslieferungsvertrages eines westlichen Landes – dies war damals Österreich – mit der Sowjetunion einen erheblichen Widerstand; auch damals schon aus dem Ausland. Der Vertrag wurde immerhin inmitten des „Kalten Krieges“ abgeschlossen. Die Sowjetunion sah damals den Ostblock bzw. das COMECON der sozialistischen Länder durch den „Prager Frühling“ gefährdet. Es war daher in diesem angespannten Umfeld für Österreich nicht leicht, die Richtigkeit des Gaslieferungsvertrages international zu begründen. Schon einige Jahre vorher übten die Amerikaner Druck u.a. auf Deutschland aus. Die Bundesrepublik sollte keine Großrohre an die Sowjetunion, die damals keine Pipeline-Röhren mit 40 Zoll Durchmesser herstellen konnte, liefern. Dies war eine Domäne des deutschen Unternehmens Mannesmann. Es kam schließlich zum Röhren-Embargo vom 21. November 1962.

1973 begannen dann die sowjetischen Lieferbeziehungen mit Erdgas in die Bundesrepublik. Das Unternehmen Gazprom gab es noch nicht. Partner der deutschen Gaswirtschaft waren staatliche Stellen der Sowjetunion. Wiederum musste ein starker Widerstand aus Washington überwunden werden. In Österreich und in Deutschland bestand jedoch kein Anlass zur Klage. Die Sowjetunion erwies sich als zuverlässiger Gas-Partner. Im Vordergrund stand und steht der Grundsatz des „Business“ – Deutschland braucht den Rohstoff Gas und für die Sowjets bzw. Russen war und ist Gas ein lukratives Geschäft - eine wechselseitige Beziehung.

2017 war Russland und die 1993 gegründete Gesellschaft Gazprom mit einem Anteil von 51,1% der wichtigste deutsche Gaslieferant vor Norwegen mit 27,1% und die Niederlande mit 21,3%. Trotz des amerikanischen Flüssiggases (Fracking) ist das russische Gas per Pipeline ökonomischer und auch ökologischer gegenüber den Flüssiggastransporten per Schiff über den Atlantik.

Warum braucht Deutschland so viel Gas – warum die neue Pipeline Nord Stream 2 ?

Zunächst einmal wird die jährliche Kapazität von Nord Stream 2 mit 55 Milliarden Kubikmeter nicht ausschließlich für den deutschen Markt bestimmt sein. Dies wird von den Gegnern von Nord Stream 2, die die Notwendigkeit der Pipeline in Frage stellen, gerne verschwiegen. Ein Großteil des ankommenden russischen Gases wird über die „EUGAL“ – Pipeline von Mecklenburg-Vorpommern in das 470 Kilometer von Mecklenburg-Vorpommern entfernte EU-Land Tschechien geliefert. Tschechien realisiert die Umstellung seiner Wärmekraftwerke sowie einiger kohlebetriebenen Kraftwerke auf den Energieträger Erdgas. Auch der industrielle Ausbau des Landes benötigt Gas, das künftig über EUGAL via Nord Stream 2 nach Tschechien kommt. Deutschland entwickelt sich über den eigenen Bedarf hinausgehend zur Drehscheibe für die westeuropäische Gasversorgung. 2017 lieferte Gazprom nach Deutschland 53,4 Milliarden Kubikmeter Gas im Wert von 24,03 Milliarden Euro. Sowohl der Energy Outlook 2040 als auch die Energieprognose Deutschland 2018-2040 (ExxonMobil) – deutsche Analysen der Branche ohnehin – gehen von einer wachsenden Nachfrage nach Erdgas aus. Treiber ist weltweit die Industrie. In Deutschland wird die Gasnachfrage durch den geplanten Kohleausstieg zunehmen. Insbesondere wächst der Erdgasbedarf, trotz der Erneuerbaren Energien, durch die Stromerzeugung. Hier tragen in Deutschland die wetterunabhängigen Gaskraftwerke als Ersatz der Kohlekraftwerke und als Begleiter der Energiewende künftig noch stärker zur Grundversorgung mit Strom bei. Dieser Effekt wird mit dem Abschalten der deutschen Atomkraftwerke und nach dem erwähnten Ausstieg aus der Kohleverstromung noch erheblich zunehmen.

Ein weiterer Grund für die zunehmende deutsche Gasnachfrage ist der Wärmemarkt. In 5,4 Millionen deutschen Haushalten (Quelle BDEW) wird immer noch Heizöl, das den höchsten CO2 Ausstoß hat, verfeuert. In neu gebauten Wohnungen dominiert jedoch klar Erdgas mit einem Anteil von 39%. „Grünes Gas“ hingegen, also erneuerbare Gase über „Power-to-Gas-Anlagen“, sind nach Einschätzung des BDEW großtechnisch und im großen Maßstab vor 2050 noch keine technische und wirtschaftliche Option – ganz abgesehen von den Kosten für die Power-to-Gas-Anlagen. Auch die forcierte Mobilitätswende zum Elektroauto dürfte die Gasnachfrage erheblich steigern, denn der Strom für das Aufladen der Batterien muss ja schließlich produziert werden. Ohne die Absicherung durch Gaskraftwerke wird das nicht funktionieren.

Bereits 2017 (endgültige Zahlen für 2018 liegen noch nicht vor) stieg in Deutschland der Erdgasverbrauch um 6% gegenüber 2016. Damit werden Thesen widerlegt, demnach Deutschland nicht so viel Gas benötige. Auf der anderen Seite haben insbesondere die Niederlande als Gaslieferant ihre Gasförderung schon erheblich zurückgefahren. Auf absehbare Zeit fällt das Land als deutscher Gaslieferant sogar ganz aus. Deutschland braucht daher als führende Industrienation verlässliche Bezugsquellen für Gas.

Die Mär von der deutschen Finanzierung Russlands

Mit dem Kauf des zusätzliches Gases über Nord Stream 2 finanziere Deutschland die Stärkung der militärischen Anstrengungen Russlands – so die Argumentation der Amerikaner. Natürlich ist Deutschland mit der Abnahme von 53,4 Milliarden Kubikmeter Gas (2017) ein zentraler Gazprom-Kunde. Dennoch relativiert sich diese Zahl, wenn man die gesamten Lieferungen Russlands zu den westeuropäischen Kunden incl. der Türkei mit 193,9 Milliarden Kubikmeter (2017) sieht. Alexey Miller, Konzernchef Gazprom, bezifferte in seiner Telefonkonferenz vom 28.12.2018 die russischen Gasexporte 2018 mit 201 Milliarden Kubikmeter. Am 20.12.2018 ging die „Power of Siberia“ in Betrieb. Beliefert wird über diese anspruchsvolle Leitung mit zunächst jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas – steigende Tendenz – die Volksrepublik China. In wenigen Jahren könnte China der wichtigste Kunde für russisches Erdgas sein. Selbst wenn Deutschland weitgehend auf russisches Gas verzichten würde, hätte Russland – wohlgemerkt ohne die Erschließung weiterer Märkte – den theoretischen „Verlust“ des deutschen Kunden bereits Ende 2019 zu 80% mit China kompensiert. Natürlich will Russland auf seinen wichtigen Kunden Deutschland nicht verzichten und Deutschland braucht im eigenen wirtschaftlichen Interesse das russische Gas. Standortfragen sind immer auch Energiefragen! Aber es ist natürlich nicht so, dass Russland von Deutschland im Gasgeschäft allein abhängig ist. Etwas mehr Gelassenheit und Realitätssinn auf amerikanischer Seite wäre wünschenswert.

Letzte Änderung am Dienstag, 12 Februar 2019 11:11
Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag

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