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EU am Scheideweg

Von den EU-Parlamentsstandorten steht aus Kostengründen Straßburg zur Disposition. Doch Frankreichs Präsident Macron will dies bei allem Reformeifer verhindern. Von den EU-Parlamentsstandorten steht aus Kostengründen Straßburg zur Disposition. Doch Frankreichs Präsident Macron will dies bei allem Reformeifer verhindern. © Pixabay

Drohender Zerfall

Die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine EU-Reform zu mehr Einheit (in Wirklichkeit nach Art à la francaise) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der EU anstelle von mehr Einheit ganz im Gegenteil der Zerfall droht. Dieses eigentlich bedauernswerte Szenario trägt zwei Namen: Angela Merkel zuerst und jetzt immer stärker auch Emmanuel Macron.

Übertrieben? Keineswegs, wenn man nur das Erscheinungsbild der EU im Frühsommer 2018 betrachtet. Die EU wird gleich mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Die Brexit-Verhandlungen der EU mit dem Vereinigten Königreich können sogar nach den unzähligen Verhandlungsrunden platzen, wie jetzt UK-Außenminister Boris Johnson andeutete. Brüssel und Macron fällt nichts anderes ein, als den enormen künftigen Einnahmenverlust infolge des EU-Austrittes des bisherigen Nettozahlers Großbritannien mit erhöhten Beiträgen der verbleibenden EU-Mitglieder zu kompensieren

Insbesondere Macron entwarf die Idee einer europäischen Finanzpolitik, die auf eine Haftungsgemeinschaft mit einer Transfer- und Bankenunion nach den Vorstellungen Frankreichs hinausläuft. Frankreichs Präsident stört sich auch an den deutschen Exportüberschüssen, die zu Lasten anderer EU-Länder gingen. Der Präsident scheint zu vergessen, dass die Exportstärke deutscher Unternehmen die Finanzmittel nicht zuletzt für die EU erst ermöglicht.

Alleingänge: „Deutschland und Frankreich sind nicht die EU“

Der Dumme bei einer Transfer- und Bankenunion ist in erster Linie der Zahlmeister Deutschland. Aber auch acht andere EU-Mitglieder – Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, Niederlande, Schweden – haben bereits in einem Brief ihrer Außenminister Widerstand angekündigt. Auch Alleingänge für die künftige EU-Ausrichtung mit einer neuen Reform nach dem Geschmack des Gespanns Macron-Merkel lehnen (wie inzwischen auch Österreich) die genannten Mitgliedsstaaten ab. Deutschland und Frankreich seien schließlich nicht die EU allein.

Die Idee des Abspeckens der aufgeblähten EU-Strukturen lässt sich offensichtlich leider nur schwer realisieren, wie das Beispiel mit drei EU-Standorten (Brüssel, Luxemburg, Straßburg) zeigt. Vor allem Frankreich, das doch angeblich die EU reformieren will, wehrt sich energisch, den Standort Straßburg aufzugeben. Wenn es ans Eingemachte geht, spielt auch Macron die Karte der Grande Nation. Dabei könnte Frankreich bzw. Macron mit dem Reformeifer am eigenen EU-Standort Straßburg beginnen … Wichtig wären auch realistische europäische Maßnahmen durch die EU und deren Mitgliedsstaaten in der verkorksten Migrations- bzw. „Flüchtlingspolitik“, deren Kosten zu Lasten der Steuerzahler längst ins Uferlose laufen! Dies sagen auch renommierte Ökonomen. In einem Beitrag für das Magazin CATO (Ausgabe Juni, Juli 2018) hat der frühere Berliner Finanzsenator und das ehemalige Mitglied der Bundesbank, Thilo Sarrazin, darauf hingewiesen, dass Europa nicht an der Währung, dem Wettbewerbsrecht oder am Klimawandel scheitert, sondern an der Einwanderungspolitik. Insbesondere Brüssel und Berlin wollten noch vor kurzem nicht konform gehende Länder wie Ungarn oder Polen mit dem Entzug von Fördergeldern „bestrafen“, wenn sie keine Flüchtlinge aufnehmen. Dieser Finanzmittelentzug wäre der sichere Weg für den endgültigen Verfall der EU! Doch diese Einsparmöglichkeit kann sich die EU, wenigsten hat Brüssel inzwischen die Gefahr erkannt, abschminken. Deshalb ist es um dieses Thema – zurecht – still geworden.

Klare Absagen an die Kanzlerin – sie ist nur noch eine Getriebene

Die von Angela Merkel angezettelte katastrophale Flüchtlingspolitik wird immer deutlicher erkennbar – nicht nur in Deutschland – im Chaos enden. Sie wird auch, da muss man kein Hellseher sein, zum Sturz von Merkel, vielleicht schon nach den wichtigen kommenden Landtagswahlen 2018 in Bayern und Hessen, führen. In beiden Bundesländern wird mit drastischen Einbrüchen in der Wählergunst für CDU und CSU gerechnet. Umso unverständlicher ist es, dass die Kanzlerin stur und beratungsresistent immer noch von einer EU-Flüchtlingspolitik mit einem „gemeinsamen Asylsystem“ mit einer flexiblen Aufgabenverteilung schwafelt, obwohl – neben den EU-Reformvorstellungen von Macron – immer mehr EU-Länder einer Flüchtlingspolitik nach dem Strickmuster Angela Merkel eine klare Absage erteilen. Italien ist jetzt ein neues Beispiel.

Erneut hat jetzt Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis Merkels Verteilungspläne abgelehnt. Und insbesondere die neue italienische Regierung hat zur Flüchtlingspolitik Vorstellungen, die völlig konträr zu den Vorschlägen der Kanzlerin zu sehen sind. Italien wird, zusammen mit der EU-Flüchtlingspolitik, zum Waterloo der Angela Merkel. Denn die neue italienische Regierung wird sich Bevormundungen aus Berlin schlicht verbitten und ignorieren. Italien ist die drittgrößte EU-Volkswirtschaft. Das Land wird, vielleicht beabsichtigt, insbesondere in vielen deutschen Medien, unberechtigt schlechtgeschrieben. Siehe zum Thema Italien unseren Kommentar „Giuseppe Conti wird wohl neuer Chef im Palazzo Ghigi in Rom“. Auch aus Belgien selbst – EU-Sitz Brüssel hin oder her – kommt inzwischen Kritik. Theo Francken, Staatssekretär für Migration in der belgischen Regierung, sieht in der liberalen Flüchtlingspolitik mit offenen Grenzen einen Spaltpilz der EU. Wenn die EU-Grenzen nicht wirkungsvoll geschlossen werden, „wird es in fünf Jahren keine EU oder Schengen-Zone mehr geben“, so Francken.

Die Zeiten deutscher Besserwisserei sind vorbei. Die Kanzlerin ist nur noch eine Getriebene – national und international. Inzwischen wird in Deutschland auch der Gegenwind in bisher noch der Kanzlerin wohlgesonnenen „Hofschranzen-Medien“ immer heftiger. Die Auflagen sinken halt. Sperrfeuer erhält sie in Sachen EU-Reform „francaise“ auch aus wirtschaftsnahen internen Kreisen der Union. Die voreiligen und unvernünftigen Zusagen im Koalitionsvertrag mit den Genossen sind dort in puncto EU und Frankreich noch nicht vergessen.

Alleingänge wie in der Flüchtlingspolitik wird sich daher Merkel bei einer von Frankreich gewünschten Haftungsgemeinschaft mit einer Transfer- und Bankenunion wohl nicht mehr erlauben können. Sie sitzt jetzt zwischen allen Stühlen. Wie der Kompromiss mit einem Europäischen Wirtschaftsfonds, der demnächst auf einem EU-Gipfel verabschiedet werden soll, letztendlich aussieht, steht einstweilen noch in den Sternen. Freund Macron ist verärgert, weil die Kanzlerin seiner „Vision“ nicht folgen kann und die aus innenpolitischen deutschen Gründen abgespeckten Vorstellungen der Kanzlerin passen wieder EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht. Hinzu kommen die immer heftiger werdenden Auseinandersetzungen der EU mit den USA. Dabei ist die EU nichts anderes als ein Papiertiger, denn ohne den militärischen Flankenschutz durch die Vereinigten Staaten kann man das Sicherheitsumfeld der EU und insbesondere Deutschlands schlicht vergessen.

Neues Format außerhalb der G7 und EU

Die EU hat sich auch globalstrategisch in eine schwierige Lage gebracht. Streit mit den USA und eine unsinnige Sturheit in der Sanktionspolitik gegen Russland, insbesondere wieder durch die Kanzlerin. Als ob Russland wegen EU-Sanktionen die Krim aufgeben würde. China, Russland, Indien und andere Länder bauen längst ein Gegengewicht zur EU auf. Die EU befindet sich in einer schwierigen Situation. Gar nicht mehr so klammheimlich hat sich mit der Shanghai Organisation Corporation (SCO), der u.a. China, Russland, Indien angehören, ein Format entwickelt, das früher oder später auch den G7-Gipfel in der Bedeutung ablösen wird, zumal die USA unter Donald Trump ihre strategische Ausrichtung außerhalb der Vereinigten Staaten nicht mehr unbedingt in erster Linie in Europa bzw. in der EU sehen. Zeitgleich mit dem G7-Gipfel in Kanada fand jetzt im chinesischen Qingdao ein neues Treffen der SCO statt, bei der z.B. China und Russland einen enormen Ausbau des Handels vereinbarten. Den wirtschaftlichen Schaden durch Sanktionen haben die EU-Länder und vor allem die Unternehmen in Deutschland.

Im Raum steht auch die in Kanada von US-Präsident Donald Trump geäußerte Empfehlung, Russland wieder in die G7 aufzunehmen. Doch dies hat – eigentlich ungefragt für die anderen G7 Länder außerhalb der USA – die Kanzlerin kategorisch abgelehnt. Auch in dieser Frage waren sich die „restlichen“ sechs G7-Länder keineswegs einig. Zumindest Italiens neuer Premier Conti stimmte Trump in Kanada zu. Es wird wirtschaftlich eng für die EU, wenn diese die Kraftprobe mit den USA beim Handel sucht. Dies müsste eigentlich auch die Bundeskanzlerin verstehen. Seit einigen Jahren hat das außerhalb der westlichen Welt erwirtschaftete Bruttosozialprodukt (BIP) einen Anteil von über 50% insbesondere durch das immer bedeutender werdende China erreicht. Die Musik spielt immer stärker außerhalb der EU.

Günter Spahn

 Herausgeber und Chefredakteur Zielgruppen-Medien Verlag

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